Zwangsumsiedlung mit der Polizei?

■ Drei Übersiedler-Familien wollen ihre Unterkunft nicht verlassen / „Wir können uns nicht weiter verschlechtern“ / Mit Säugling ohne fließend Wasser und ohne Waschmaschine / „Im Osten sind genug Wohnungen leer“ / Trotz DDR-Umbruch: Weiterhin täglich 200 Übersiedler

Übersiedler in Berlin werden immer unzufriedener mit ihrer Unterbringung in Notunterkünften. Zur Zeit sind 26.000 Übersiedler und 7.000 Asylbewerber in verschiedenen provisorischen Quartieren über die Stadt verteilt. Drei Familien haben jetzt gegenüber der taz angekündigt, daß sie am Wochenende ihre Unterkünfte in der Franz-Künstler-Straße in Kreuzberg nicht verlassen werden. „Wir können uns nicht noch weiter verschlechtern.“

Sie müssen zusammen mit mehreren Dutzend anderen die „Jugendgäste-Häuser“ der „Deutschen Schreberjugend“ verlassen, weil diese ihre Gebäude nach zwei Monaten Pause wieder selber braucht. Nur: Der verantwortliche Sachbearbeiter im Durchgangslager in Marienfelde „hat uns das nicht gesagt, daß wir nach vier Wochen wieder raus müssen, sonst wären wir hier gar nicht erst eingezogen“, bemängelt Rainer Pleske (34), der zusammen mit seiner Frau Uta (27) bereits vor der Öffnung der Mauer einen Ausreiseantrag gestellt hatte und seit zwei Monaten in West -Berlin lebt. Zusammen mit ihrer vor drei Wochen geborenen Tochter sollen sie sich ab kommender Woche mit einer anderen Familie mit drei Kindern zwei Zimmer teilen, in der es weder eine Waschmaschine noch eine Dusche gibt.

Familie Kuchenbecker mit ihrer zweijährigen Tochter Roxana ist ein Container angeboten worden. „Aber was soll ich mit meiner Tochter bei diesem schlechten Wetter machen? Die kann doch nicht den ganzen Tag im Container hocken“, fragt ihre Mutter Simone (25), die mit ihrer Tochter im Dezember ankam. In Zimmer 102 in Marienfelde sei ihr auf ihren Protest hin gesagt worden: „Wenn Sie mit einem Container nicht zufrieden sind, dann gehen Sie doch zurück in den Osten, da sind genug Wohnungen frei.“ Da will Peter Kuchenbecker (26) aber nicht wieder hin. Er war wegen „linksextremistischer Tätigkeiten“ in der DDR 16 Monate eingesperrt. Danach wurde er „ausgereist“ - hätte er sich geweigert, wäre er erneut verhaftet worden. Und weil Familie Bürger seit ihrer Ankunft vor zwei Monaten bereits zweimal umziehen mußte, fängt die achtjährige Tochter Katrin an, die Schule zu bestreiken, will einfach nicht mehr hin. „Die Kinder leiden am meisten“, sagt Vater Harald (31), „ich habe sie noch nie so angeschrien wie hier.“

Die Familien möchten alleinstehenden Übersiedlern gegenüber bei der Vergabe von Plätzen in Übergangswohnheimen bevorzugt werden. Sie wollen Unterkünfte mit fließend Wasser und die Zusage, daß sie erst wieder ausziehen müssen, wenn sie eine Wohnung bekommen.

Helga Palloks, zuständig für die Unterbringung von Aus- und Übersiedlern beim „Landesamt für Zentrale soziale Aufgaben“, sagt dazu, daß bei der Verteilung von Unterkünften Familien sehr wohl bevorzugt behandelt werden, soweit Quartiere vorhanden seien. „Der Andrang hält unvermindert an“, beschreibt sie die Lage. Täglich kommen immer noch 200 Übersiedler in Marienfelde an. „Da müssen leider auch Familien in Kauf nehmen, daß die Notunterkunft wechselt“, so Frau Palloks.

Sollte sich bis zum Wochenende für die drei Familien nicht eine „angemessene Lösung“ finden, wollen sie die Unterkunft in Kreuzberg nicht verlassen. „Notgedrungen müßten wir dann die Polizei holen“, kündigt der Geschäftsführer der „Deutschen Schreberjugend“, Sigfried Andreß, der taz an.

Dirk Wildt