: Müllstopp: Modrows giftiges Geheimnis
■ Ab 1. Februar bleibt West-Berlin auf dem Sondermüll sitzen / Die DDR will in Vorketzin nichts mehr aufnehmen / Modrow hat Momper nichts davon gesagt
Völlig überraschend hat die DDR den Export von Westberliner Sondermüll nach Vorketzin untersagt. Der Senator für Verkehr und Betriebe, Wagner (SPD), teilte gestern mit, daß die Deponie Vorketzin westlich von Berlin schon ab dem 1. Februar keinen Sondermüll aus West-Berlin mehr aufnehmen wird. In einem Schreiben der DDR-Firma Intrac an die Westberliner Berlin Consult, wurde gestern mitgeteilt, daß die DDR keinen Ersatz anbieten könne. Die Intrac bezieht sich auf einen Beschluß des DDR-Ministerrates vom 13. Januar. Ministerpräsident Modrow hatte bei seinem Besuch am Dienstag abend dem Regierenden Bürgermeister Momper diese einseitige Vertragsaufkündigung offenbar verschwiegen.
Senator Wagner wies gestern die Berlin Consult an, bei der Intrac gegen den „Vertragsbruch“ zu protestieren. Der Müllvertrag besteht noch bis Ende 1994. Er werde bei der Regierung der DDR und dem zuständigen Minister auf der Einhaltung der Verträge bestehen, sagte der Senator. „Wir können nicht zulassen, daß die DDR einseitig Verträge bricht.“ Wenn sich die DDR jetzt darauf beziehe, daß es diesbezüglich Absprachen mit dem Senat gegeben habe, so stimme das nicht, ergänzte Senatssprecher Kolhoff. Man habe lediglich bei verschiedenen Anlässen „Verständnis“ für die Probleme auf der Deponie Vorketzin südwestlich von Berlin geäußert. Kolhoff nannte es eine „voreilige Entscheidung“ der DDR-Regierung, die offensichtlich dem Druck der Umweltgruppen in Vorketzin nachgebe.
Vor der Deponie hatten in den letzten Wochen Gruppen aus West und Ost gegen Trinkwasserverseuchungen protestiert, die von Deponiegiften verursacht werden. Eine Rechtfertigung für den Vertragsbruch ist das in Wagners Augen nicht: Dieser Schritt, so der Senator, „ist uns nicht plausibel zu machen“. Mehr Verständnis äußerte Umweltsenatorin Schreyer. Jetzt „rächt sich eine verfehlte Müllpolitik“, sagte Schreyer-Referent Schwilling. Derzeit schafft West-Berlin pro Jahr 35.000 Tonnen Sondermüll in die DDR. Wenn am 1. Februar die Müllverbrennungsanlage Schöneiche in Betrieb gehen kann, werden 10.000 Tonnen dort aufgenommen. Weitere 10.000 Tonnen können durch neue technische Verfahren in West -Berlin entsorgt werden. Was aber mit dem restlichen Giftmüll geschehen soll, ist im Augenblick noch völlig unklar. Eine eilig eingesetzte Arbeitsgruppe soll bis Mittwoch Alternativen in Westdeutschland auskundschaften. Ob diese Suche Erfolg haben wird, ist allerdings noch völlig offen.
Die Senatsumweltverwaltung will auch bei Westberliner Unternehmen anfragen, ob diese ihren Sondermüll selbst zwischenlagern können, bis die Verbrennungsanlage in Schöneiche in Betrieb geht. Ganz auf die DDR-Deponien verzichten könne man wahrscheinlich nicht, sagte Schwilling. Ob in der DDR-Deponie in Schönberg bei Lübeck Platz für Westberliner Giftmüll sei, müsse erst noch geklärt werden.
bf/taz
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