Kohl eiert um die Westgrenze Polens

Der Kanzler spricht in Frankreich vom Recht der Polen auf sichere Grenzen und läßt im Bundestag eine heikle Abstimmung dazu verhindern  ■  Von Ferdos Forudastan

Bonn (taz) - Mittwoch abend, während einer Tagung in Paris: Bundeskanzler Helmut Kohl befindet, die Polen müßten die Gewißheit haben, in sicheren Grenzen zu leben. Donnerstag im Bundestag: Die Bundesregierung verhindert, daß über zwei Anträge von SPD und Grünen zur Garantie der polnischen Westgrenze diskutiert und abgestimmt wird, indem sie gezielt die Möglichkeiten der Bonner Geschäftsordnung nutzt.

Dem besorgten Ausland wohl und den Vertriebenenverbänden hierzulande nicht wehe: Die Regierung Kohl hat in der Oder -Neiße-Frage Zeit gewonnen. Zwar unterließ Kohl vor dem Institut für Internationale Beziehungen in Paris nicht den Hinweis darauf, daß die endgültige rechtliche Festlegung der Westgrenze Polen in einem Friedensvertrag noch ausstehe und die Bundesregierung ein künftiges Gesamtdeutschland rechtlich nicht binden könne. Aber er wiederholte in Paris genau jene Position, wie sie die Mehrheit des Bundestages schon am 8. November formuliert hatte: Er gestand den Polen das Recht auf ein Leben in sicheren Grenzen ausdrücklich zu.

Diese Feststellung zu wiederholen, hatte sich Kohl zuletzt bei jeder Gelegenheit geweigert. Am Mittwoch abend befand er dagegen, die Polen müßten die Gewißheit haben, in sicheren Grenzen zu leben, und „niemand will ... die Wiedervereinigung verbinden mit einer Verschiebung bestehender Grenzen“. Außerdem, so Kohl, wollten die Deutschen, „deren demokratischer Wille die Haltung einer künftigen gesamtdeutschen Regierung binden würde, in ihrer überwältigenden Mehrheit“ keine gefährliche Grenzdiskussion vom Zaun brechen.

In Bonn mochten sich der Kanzler und seine Regierung dann allerdings auf keine praktischen Konsequenzen aus diesen Äußerungen festlegen. Der Bundestag, dies hatten SPD und Grüne beantragt, möge sich den Vorschlag seiner Präsidentin Rita Süssmuth zu eigen machen: Nach der Volkskammerwahl sollten nicht nur beide Regierungen, sondern auch beide deutschen Parlamente eine gemeinsame Erklärung zur polnischen Westgrenze abgeben.

Daß auch die FDP und einige CDU-Abgeordnete für diese Anträge stimmen würden, mußten Kohl und die Regierung befürchten. Statt einer noch in der vorigen Woche angekündigten Regierungserklärung des Kanzlers gab es deshalb nur einen „Bericht“ von Kanzleramtsminister Seiters. Über Initiativanträge zu einer Regierungserklärung muß laut Geschäftsordnung des Bundestags das Plenum abstimmen. „Berichtet“ die Regierung lediglich, kann die Mehrheit beantragen, daß die Anträge an den zuständigen Ausschuß überwiesen werden. Dies geschieht nun. „Damit ist eine Stellungnahme zu dem sehr weitgehenden Süssmuth-Vorschlag für Monate erst mal vom Tisch, und das war beabsichtigt. Die wollten ganz klar Zeit schinden“, weiß ein hochrangiges Mitglied der FDP.