Meßbar in die Katastrophe

München (taz) - Die von der Innenministerkonferenz Ende 1988 verabschiedeten und weitgehend unbekannt gebliebenen „Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen“ enthalten nach Angaben des Vorsitzenden der Naturschützer, Hubert Weinzierl, skandalöse radioaktive Eingreifrichtwerte. Sie liegen höher als die Werte, nach denen die russischen Behörden bei der Atomkatastrophe von Tschernobyl verpflichtet waren, die Bevölkerung zu entseuchen oder zu evakuieren, sagte Weinzierl gestern auf einer Pressekonferenz.

So wurde etwa der Richtwert für die Hautbelastung auf 400 Millionen Becquerel (Bq) pro Quadratmeter heraufgesetzt. Erst dann sind mehr oder weniger wirksame Entseuchungsmaßnahmen vorgesehen. Und erst ab 4.000 Millionen Bq wird die Dekontamination nach den makaberen Richtlinien „vorrangig erforderlich“. Zum Vergleich: Die Spitzenwerte des Tschernobyl-Fall-outs in Südbayern lagen bei 2,5 Millionen Bq. Die amtliche Begründung, bei niedrigeren Richtwerten könnte die Zahl der zu Evakuierenden zu groß werden, bezeichnete Weinzierl als blanken Zynismus. Groteskerweise können die handelsüblichen Strahlenmeßgeräte diese Eingreifrichtwerte gar nicht messen, denn ihr Meßbereich endet bereits bei drei Millionen Bq. Pro Quadratmeter. Die Richtlinien schreiben deshalb vor, daß die Geräte mit einer Aluminiumplatte abgeschirmt werden müssen, damit sie unempfindlicher sind.

lui