piwik no script img

Einmal „Dirty Dancing“ mit Hund

■ Wenn Westler im Osten ins Kino gehen / Erfahrungsbericht eines leidtragenden Kartenverkäufers in der Hauptstadt / Säuglingsmütter, Hundebesitzer und erste Begegnungen mit der Gattung „KreuzbergerIn“ in Ost-Berlin

Wie schon in einem vorherigen Beitrag angekündigt, gehe ich in Ost-Berlin der verantwortungsvollen Tätigkeit des Kinokartenverkaufs nach (siehe taz von gestern). Der ungehinderte Eintritt in mein sehr einfaches Vaterland läutete für mich eine neue Epoche der Erlebnisse am Kassenschalter ein. Abgesehen davon, daß man an einigen Tagen glauben könnte, die Kassenhalle wäre zu einer Fahrradaufbewahrung umfunktioniert worden, kann ich mich des Eindrucks oftmals nicht erwehren, daß einige des Weststadtteils die Hauptstadt der DDR mit einem Billig -Disney-Land verwechseln. Erforschung von Möglichkeiten.

So wie durch alle Medien die nettesten Erlebnisse mit den ersten Ost-Besuchern gingen, möchte ich den mir auf der Seele brennenden Erlebnissen mit ersten West-Kinobesuchern Luft machen.

Da bat mich eine Westberlinerin, während der Kinovorstellung auf ihren Säugling aufzupassen. Das Kind sollte ich in meinen Quadratmeter Kinokasse nehmen, vielleicht noch bei eventuellen Schreianfällen killern. Nebenbei wäre allerdings pausenloser Kartenverkauf bei einer Menschenschlange bis auf die Straße angesagt gewesen. Also, ich konnte bei aller Zuneigung zu dem Säugling ihrer Bitte nicht nachkommen, erkundigte mich jedoch interessehalber, ob sie im Zoo-Palast ihren um den Bauch gebundenen Säugling an der Kasse abgeben könne. Richtig stellte sie fest, daß dieses Kino nicht der Zoo-Palast sein würde. Obendrein wäre ich unfreundlich. „Bei uns würde man dich feuern!“

Nicht viel später ein jüngerer Herr in Hundebegleitung. Das Tier sollte mit ins Kino. Als Pflichtbewußter erfragte ich das Alter des Hundes. Der Film war erst ab 14 Jahren. Der Hund hatte das entsprechende Alter. Der Gast begann einen vollen Streit. Für den Hund erhob ich den vollen Eintrittspreis. Allerdings vertrat der Gast die Ansicht, wäre das ein Blindenhund, bräuchte er überhaupt nicht zu zahlen.

Als Gegenvermutung brachte ich ein, wäre er blind und der Hund ein Blindenhund, würden beide gewiß nicht ins Kino gehen (Auch den Tierchen ein Pläsierchen! d. s.in). Mit westlichem Sinn für's Geschäft ließ das Herrchen nicht locker, um am Kartenpreis von 3,05 Mark herumzupokern, warf ein, in der U-Bahn gelte die Hälfte des vollen Preises für einen Hund.

Daraufhin schlug ich ihm eine Ausfahrt mit Hund und U-Bahn vor, als mit aller Macht verbilligt einen Kinobesuch zu machen. Außerdem verstünde der Hund den Film sowieso nicht. Zu schwer! Während der Verhandlungszeit schlotterte mir der ganze Leib. Das Tier war groß genug, um mir durch das Schalterfenster recht unsanft in die Augen zu schauen. „Kein Wunder, daß alle aus dem Osten wegrennen“, schloß er die Unterredung ab.

Hinterher stellte ich mir den Platznachbarn des Hundes vor, der neben sich eine hechelnde Dogge vorgefunden hätte. Ein Zwerg-Yorkshire wäre ja in eine Tüte gegangen, aber eine Dogge?

Als letzte Bereicherung eines harten Arbeitstages standen vor dem Schalter zwei schwer mit Modeschmuck behangene Fräuleins in schwarz mit Halbfingerhandschuhen - deren Funktion ich noch nie begriff. - „Kosten zwee Karten?“ „6,10 Mark.“

„Hab‘ nur 4 Mark.“ - „Könnt ihr nicht ins Kino!“

„Mann, Alter, kommen aus Kreuzberg.“ - „Meinetwegen könnt ihr von den Falkland-Inseln kommen, trotzdem 6,10 Mark.“

„So'ne Pisse!“

Weg waren die Mädels, Kaugummiblasen machend. Ließe ich alle Kreuzberger ermäßigt ins Kino, stünde ich bald mit Blockflöte auf dem Kudamm, um Geschäftsdifferenzen einzuspielen.

Tobias Wagner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen