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VIELE KÖCHE - KEIN KONZEPT

■ Aber dafür sämtliche Kagel-Filme bei den „Inventionen '90“

Schon wieder so viele tolle Konzerte auf einem Haufen, kleine rote Aufkleber dazu und mit Bonbon verbilligte Jugend -Karten, alles schön bunt. Zum siebten Male findet das Festival INVENTIONEN statt, vom 21. Januar bis zum 10. Februar. Freilich kommt das Programm heuer, im Vergleich zum Vorjahr, ein bißchen wabbeliger daher - aber abgespeckt hat es nicht. Wie schon '89 war nämlich wieder ein hübscher Etat zu verbraten - die schönste Frage also auf der Pressekonferenz war die des finanziell stets orientierten Herrn von der FR: Wieso zahlt der Wirtschaftssenator rund 200.000 Mark für ein Festival Neuer Musik? Weil das sein Steckenpferd ist? Falsch. Die richtige Antwort gab kühl, offen und stellvertretend ein Herr aus der Riege Martiny: Weil man, zumal in den schlappen Monaten, gerne Attraktionen kultureller Art parat hat für mehr Gäste in Berlin.

Noch mehr Gäste für noch mehr Berlin. Erstens werden also Werbung und Vorverkauf erstmals auch im Ostteil der Stadt betrieben. Zweitens präsentiert sich das Festival diesmal durch und durch „international“: die meisten Gäste kommen natürlich wie immer aus den USA, aber auch aus Australien und aus Hamburg und aus Weimar und so weiter. Drittens legte man, wie der Herr vom elektronischen Studio der TU (Veranstalter 1) mitteilte, diesmal einen kleinen Schwerpunkt auf Ensemblemusik. Sonst hatte niemand weiter eine Idee für die Konzeption des Festivals. Es gibt dann auch noch die Solisten, die stammen aus dem Stall des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (Veranstalter 2). Der Herr von der Akademie der Künste (Veranstalter 3) hatte dem nichts hinzuzufügen.

Viele Köche, und das ist der Brei: 25 Konzerte (17 davon elektro-akustisch), 3 Vorträge und 3 Ausstellungen sowie summa summarum 14 Erst- und 13 Uraufführungen. Ein Potpourri randvoll mit allem, was so zu kriegen war, und darin doch so manche Rosine. Gleich drei Uraufführungen mit Neuer Musik auf Rock-Instrumenten gibt die Truppe Kientzy & Barocko am 29. Januar in der Akademie zum Besten - zwei Tage später tritt das Ensemble für intuitive Musik aus Weimar dort auf und zeigt, wie Stockhausen in der DDR rezipiert wird. Wer endlich mal wieder live ein paar alte rare Stücke von Klassikern der Moderne wiederhören will und scharf ist auf Nono, Maderna, Cage, Scelsi oder Feldman, lasse sich gleich Ort, Zeit und Truppe per Telefon durchsagen. Außerdem ist natürlich wieder der unvermeidliche Oskar Sala dabei mit seinem neoantiken Mixturtrautonium: Jeder kennt die Klänge aus Hitchcocks Film „Die Vögel“ - aber man muß wenigstens einmal auch gesehen haben, wie sie gemacht werden (27. Januar in der Akademie). Anschließend tritt dann jener andere sagenhafte Veteran der elektronischen Musik solo auf: das herzzerreißende Wunderinstrument namens Ondes Martenot. Ganz neu ist der Fly-Computer des Ensemble Musica Verticale aus der heiligen Stadt Rom (4. Februar) - und jedesmal wieder neu die Performance der selbstvergessenen Violinistin Mia Zabelka, die diesmal einen „Drahtvenuskörper“ in die Welt setzen wird (28. Januar).

Zabelka ist übrigens das einzige weibliche Wesen, das auf dem Festival eigene Inventionen vorführt. Elektro-Akustik ist nämlich reine Männersache, schon der „Lautsprecher an sich ... ein bewährtes Spielzeug der Machthaber„“ wie Fred Prieberg vor Jahren feststellte: Maschinenmusik eigne sich ebenso wie „Rennautos, Flugzeuge, Autobahnen, Wolkenkratzer, Mondlandungen“ vorzüglich dazu, maskuline Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren. Gegen den männlichen Spieltrieb ist aber doch nichts einzuwenden, solange er sich auf solcherart vergleichsweise unschädliche Dinge wirft: „The Music Store“ von Joe Jones (Kunstverein Giannozzo vom 11.2. bis 2.3.) soll eine lustige Sache sein, und in der DAAD-Galerie ist zur gleichen Zeit eine Jones-Retrospektive zu besichtigen: „music machines from the sixties until now“.

Wenn es schon keine zündende Idee fürs Konzept gab in diesem Jahr, so hatte doch immerhin irgendwer, aus welcher Laune heraus auch immer, den glücklichen Einfall, man könnte es mal wieder ordentlich kageln lassen. Nachts in der Akademie gibt es also alle Kagel-Filme, die langen und die kurzen, die Musikfilme und die Filmmusiken - von „Antithese“ (1965), wo die Hörer sich selbst zuhören müssen, über den legendären „Ludwig van“ (1969) bis zu dem übernatürlichen Naturfilm „Kantrimiusik“ (1976). Manche sind läppisch und manche sind genial und keiner ist langweilig. Als er 1966 das „Match“ für zwei Cellospieler und einen Schiedsrichter (Schlagzeug) abgedreht hatte, sagte Mauricio Kagel: „Bei meiner Aufgabe als Regisseur brauchte ich auf den Komponisten des Stückes keine Rücksicht zu nehmen. Freilich verdrängte der günstige Umstand der Zusammenarbeit mit mir selbst nicht jene immer wiederkehrende Frage, welcher Weg bei der Verfilmung von Musik einzuschlagen sei. Ich entschied mich für eine Inszenierung des musikalischen Ablaufs... Die Wirklichkeit der Aufführung konnte dann scheinbar normal oder völlig verzerrt erscheinen: der Unterschied blieb gänzlich unspürbar.“ Die letzte Retro in Berlin mit Filmen von Kagel ist fünf Jahre her, zwei neue sind mittlerweile dazu gekommen - und der allerneueste („Repertoire“, 1990) soll am 6. März uraufgeführt werden. Das ist doch was.

E.E.Bauer

22.1. Antithese/Match/Solo

23.1. Duo/Halleluja

25.1. Ludwig van

28.1. Zwei-Mann-Orchester/Unter Strom

30.1. Kantrimiusik/Phonophonie

6.2. Blue's Blue/MM51/Szena rio/ER

7.2. Dressur/Mitternachtsstück

jeweils um 22 Uhr in der Akademie.

6.3. Repertoire (20 Uhr)

Weitere Programminformationen zu „Inventionen '90“ unter den Nummern 39 00 07-28 oder 31 00 03-28. Tageskarten DM 15, Ermäßigungen ohne und mit Bonbon DM 10 und DM 6

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