LEXICON OF LOVE

■ Klaus Theweleit sprach über „mediale Frauen“

Wir, als vollautomatisierte Kinder der freien Liebe und bereits im Embryonalzustand von der Klangkonserve All you need is love auf irdisch machbaren Lebenssinn eingestimmt, sollten uns fragen, so am Donnerstag Klaus Theweleit im Goerg-Kolbe-Museum in der Reihe Schauplatz Museum, wie es kommt, und wie es schon immer gekommen ist, daß trotz aller ideologischen Seelenaufbereitungsapparate die logische Operation 1+12 in der menschlichen Verbindungspraxis so selten wirklich glückt. Und las und sprach, von Zetteln und Karteikarten, über „männliche Liebens- und Arbeitsweisen“.

Theweleit holt sich sein Material größtenteils aus einschlägigen Männerbiographien: von wem anderen also als von Sigmund Freud.

Hatte Theweleit in den Männerphantasien schon die vom Mann geleistete Einschreibung von Weiblichkeit in Literatur untersucht, so führt er in seinem neuesten Werk die Kluft zwischen männlicher literarischer Produktion und den dabei im Leben häufig anfallenden Frauenopfern vor.

Wie genau die Konstruktion von Liebesimagines, psychoanalytisch gesprochen, Objektwahl, funktioniert, beschreibt er in voraussichtlich drei Bänden unter dem Titel Buch der Könige, von denen bisher nur der erste erschienen ist.

So las er aus einem Manuskript, das den dritten Band seines Werkes abgeben wird, seine Rekonstruktion von Freuds umfassender Liebesplanung vor: Liebe, aus dem Blick des Analytikers als Zustand des Rauschs, des Wahns, der massiven Abweichung wahrgenommen, weil wesentlich gebunden an Verkennung und Überschätzung des anderen, ist nach Freud ein männliches Privileg. Nur Männer können verrückt spielen, das heißt sich auf den anderen beziehen, Frauen in ihrer narzistischen Selbstverliebtheit sind der vollen Objektliebe (außer zu ihren Kindern) nicht fähig.

Theweleit, nüchternen Blickes, versucht diese Wahnformen, soweit kristallisiert in der westlichen Kulturgeschichte, herauszulösen und gelangt zu verschiedenen Ausprägungen eines eher berechnenden als rauschhaften Typs. Aus seinem Buch Männerphantasien zitiert er den Typus der „Heirat mit der Kameradenschwester“, in der er ein Ausweichmanöver des Mannes am Werke sieht, insofern, als sich dessen Begehren eigentlich auf den Kameraden oder die eigene Schwester richtet und somit unzulässige homoerotische oder inzestuöse Komponenten enthält: die Heirat mit der Kameradenschwester ist eine Verschiebungsform.

Als besonders typisch für die männliche Objektwahl bezeichnet er die „technisch-strategische“ Heirat nach dem Muster: Autoren heiraten ihre Sekretärinnen und Filmregisseure ihre Cutterinnen (berühmtestes Beispiel Hitchcock). Das Berechnende an diesen Heiraten wird häufig verbrämt durch die Errichtung des Bildes der „medialen Frau“. Theweleit erzählt hier paradigmatisch aus der Biographie Knut Hamsuns: Er habe sich in Marie Andersen verliebt, weil sie, wie er selbst gesteht, erstens einer Jugendliebe ähnlich war, zweitens ihn an eine bestimmte Bäuerin erinnerte, drittens, weil er das von ihm gehaßte Theater in ihr als Schauspielerin bannen wollte. Diese Form der Überdeterminierung der Frau verweist bereits auf einen gehörigen Energieaufwand von seiten des Mannes, der sich häufig komplementär verhält zur totalen Selbstaufgabe der Frau: Hamsun zog Marie Andersen vom Theater weg, verwandelte sie in eine Bäuerin und brachte sie an den Ort seiner Jugendliebe zurück, wo ihre spirituelle Verbindung Grundlage eines Romans wurde, für den er den Nobelpreis bekam woraufhin er die Frau fallen ließ.

Ein weiteres Beispiel einer solchen „medialen“ Verbindung stellt nach Theweleit die zwischen Martin Heidegger und Hannah Arendt dar. Für Heidegger war sie eine „Inspiration für seine Arbeit, ein Impuls für sein leidenschaftliches Denken“. Läßt

das den Schluß zu, daß Sein und Zeit aus „dem Hades einer jüdischen Geliebten“ (Theweleit) gewonnen worden ist? Die Biographie Rachel Varnhagens, an der Hannah Arendt nach dem Bruch mit Heidegger schreibt, stellt, so meint Theweleit, Hannah Arendts Trauerarbeit dar. Und dennoch habe sie nichts verloren, denn sie habe Heidegger ja nur nach dem Typus „narzistische Objektwahl“ geliebt: Eigentlich sei sie nur in das Professorensein verliebt gewesen, das sie selbst erreichen wollte und schließlich erreicht hat.

Im weiteren führt Theweleit aus, wie Freud selbst zur Errichtung seines „psychoanalytischen Staats“ die verschiedenen Liebesformen katalogisiert und unter die ihm begegneten Frauen verteilt hat, so daß er sich mit keiner „freischwebenden Frau“ konfrontieren mußte.

Seine Frau Marta hat er nach dem Muster der technisch -strategischen Heirat ausgewählt, was ihn nicht daran hinderte, sie zusätzlich mit einer Reihe von Schicksalsindizien überzudeterminieren. Er heiratete Marta, weil er, der gerne Professor werden wollte, sie aus der Hand eines Professors, ihres Onkels, erhielt; weil ihr Vater ein lautererer Kaufmann als sein eigener war; weil ein anderer Onkel den Begriff der Katharsis in den Wiener Diskussionszirkeln in Umlauf brachte; weil da etwas mit einem Monogramm auf einem Briefpapier war... Weil er sie als Adressaten seiner Selbstanalyse benutzen konnte und hoffte, daß sie ihn später in seinen Forschungen unterstützen und Beobachtungen aus der Kinderstube zuliefern werde - was „die Weiblichkeit“ zu seinem Bedauern nicht tat, weswegen er sich an Fließ wenden mußte, dessen Frau besser für die Forschung in Einsatz zu bringen war.

Die von seiner Frau nicht übernommene Intellektuellenrolle wurde daher von Freud an verschiedene Analysandinnen wie Lou Andreas-Salome transferiert, die dann wiederum als Verteiler an weitere Männer fungierten, wie an Rilke im Falle Salome. Freud hielt die von Jung praktizierte Verbindung von psychoanalytischem Transfer und sexueller Beziehung zur Analysandin wie im Falle Sabina Spielrein für der Kur abträglich.

Neben den Ehefrauen und Analysandinnen wurden von Freud auch den Töchtern Funktionen zugeordnet: Sie sollten ihm als Sekretärinnen zur Verfügung stehen, als „Tochteradjutantin“, wie Thomas Mann es in bezug auf seine Tochter Erika schreibt, deren Hineinwachsen in die Rolle der Sekretärin er ebenfalls begrüßte. Als auffallend hob Theweleit die Kinderlosigkeit von Freuds Tochter Anne und vieler der bei ihm ausgebildeten Analytikerinnen hervor. Einer einzigen weiblichen Ausprägung scheint Freud ziemlich hilflos gegenübergestanden zu haben: der in psychoanalytischen Fragen voll informierten und ihn verunsichernden H. Doolittle. Er hat sie, da sie so viele Züge seiner Tochter in sich inkarnierte, in die literarische Figur der „Revenantin“ gepreßt, die er literarisch in Gradiva verwertet hat.

Michaela Ott