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„Plötzlich hießen wir nicht mehr Gefangene...“

■ Die Sozialtherapeutische Anstalt in Tegel feierte gestern 20jähriges Jubiläum / 2000 Gefangene wurden hier im Laufe der Jahre durchgeschleust / Insassen und Therapeuten fordern Eigenständigkeit / Justizsenatorin ging auf die Forderung nicht ein

Um den 20. Geburtstag des „jüngsten und begabtesten Kindes im Strafvollzug“ zu feiern, hatten gestern der Anstaltsleiter Lange-Lehngut und seine Mitarbeiter in den Tegler Knast geladen. Das „Kind“ ist die Sozialtherapeutische Anstalt, kurz SoThA genannt, die im Haus IV am Rande des Anstaltsgeländes untergebracht ist, über 160 Haftplätze für Gefangene verfügt und in den 20 Jahren ihres Bestehens rund 2000 „Klienten“ behandelt hat. Das Konzept der SoThA: Bei den Gefangenen soll durch Sozial und Verhaltenstherapie „Eigenverantwortlichkeit und soziale Verantwortung“ geweckt werden. Ziel ist eine „Reintegration in die Gesellschaft“ und ein Leben ohne Straftaten, das durch schrittweisen Ausgang und Urlaub „erprobt wird“. Die SothA hält sich zugute, daß sie pro Jahr insgesamt 2500 Tagesausflüge und Urlaube gewährt und es nur bei 0,2 Prozent dieser Maßnahmen zum Verdacht einer Straftat beziehungweise zu Rückfällen kam. Trotzdem ist das Konzept „Therapie im Knast“ bei fortschrittlich eingestellten Kennern des Strafvollzugs äußerst umstritten (siehe Kasten unten links).

Justizsenatorin Limbach, die gestern als Festtagsrednerin geladen war, versicherte in ihrer Ansprache „ein offenes Ohr“ für die Kritiker zu haben, hatte aber „persönlich“ keinen Zweifel daran, daß die Gefangenen über soviel Freiheit verfügten, daß sie mit vertrauenswürdigen Personen ein „stabiles therapeutisches Bündnis eingehen“ könnten. Limbach regte an, in Zukunft auch verstärkt externe Therapeuten zur Fortentwicklung der Sozialtherapie heranzuziehen, vermied es aber, auf die Forderung nach Loslösung der SoThA aus dem übrigen Knast und auf eine Verselbständigung der Anstalt einzugehen.

Diese Forderung hatte die Leiterin der SoThA, Esseler, mit Hinweis darauf erhoben, daß vom übrigen Knast negative Einflüsse ausgingen. Nachteile bringe auch, daß die SothA in Sicherheitsfragen einem Gleichbehandlungsdruck ausgesetzt sei. Ein Gefangener, der stellvertretend für die Insassen seiner Station am Mikrophon das Wort ergriff, beschrieb, wie es ist, vom „normalen“ Knast in die SothA verlegt zu werden: „Im Normalvollzug waren wir Inhaftierte oder Knackies, die Menschen mit den überproportionalen Schlüsseln waren Beamte oder Schließer. Als wir in die SothA aufgenommen wurden, waren wir plötzlich nicht mehr Knackies, sondern Klienten und die Menschen mit dem überproportionalen Schlüssel waren nicht mehr Schließer, sondern Betreuer. Wir fühlten uns ein wenig wie die Putzfrau, die zur Raumpflegerin wurde“. Der Gefangene forderte gleichfalls die Abtrennung der SothA vom übrigen Knast. Er begründete dies zum einen mit dem Neid, der den SothA-Insassen von den übrigen Gefangenen am gemeinsamen Arbeitsplatz wie „fauler Atem“ entgegenschlage. Der Neid münde darin, daß die Gefangenen der SothA damit beleidigt würden, sie seinen „keine echten Knackies“ und sie ließen sich „in der Birne rumpfuschen“. Von einer Abkoppelung erhoffte sich der Gefangene, daß die SothA dann eher eine Art „Schule“ für's Leben werden könne. Andere Gefangene, die die taz beim Rundgang durch die Stationen traf, äußerten als Hauptproblem, „ständig einem psychologischen Druck“ ausgesetzt zu sein. Auf die Frage, warum sie sich dann überhaupt für die SothA beworben hätten, erklärten sie, sie hätten sich davon eine frühere Entlassung und mehr Vorteile versprochen. Seit rot-grün dran sei, sei die Warteliste der Gefangenen für die Aufnahme in der SothA auch längst nicht mehr so lang wie früher: „Die Gefangenen wollen natürlich lieber gleich in den offenen Vollzug als in die SothA“, erklärte ein Insasse. „In der Richtung hat sich zwar überhaupt noch nichts getan, aber die haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben“.

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