Die Stadt, der Müll und das Volk

■ Die DDR will aus dem Import von Westmüll aussteigen

Seit der Wende rennen die bundesdeutschen Parteien und Regierungen der Demokratisierung der DDR hinterher und drängeln mit den Versprechen der großzügigsten Hilfe aller Zeiten. Ihr Refrain lautet: Die Demokratisierung geht nicht schnell genug. Jetzt ist sie doch zu schnell gegangen. Die Regierung Modrow hat dem Druck der Umweltschutzgruppen in der DDR nachgegeben, und die DDR-Außenhandelsfirma Intrac will alle bestehenden Verträge in Sachen Müllimport kündigen. Die DDR hat sich so deutlich wie nie vom „Schalckismus“, vom Primat der „Valutamark“ über das Leben (in der DDR) getrennt. Und sofort zeigt sich, daß die Volksmacht DDR hierzulande nur dann begrüßt wird, wenn sie die SED-Herrschaft erschüttert.

Natürlich gerät die verfehlte bundesdeutsche Abfallpolitik in eine dramatische Lage, wenn die Müllhalde DDR kurzerhand geschlossen wird; natürlich kann man es von keinem Kommunalpolitiker, von keiner Westberliner Regierung erwarten, daß sie die Situation lauthals feiert. Schließlich hatten sie sich mit ihren Müllexportverträgen auf eine dauerhafte SED-Regierung eingerichtet. Aber so, wie sie jetzt reagieren, ist es ein symptomatischer Vorlauf dafür, wie die Bundesrepublik reagieren wird, wenn die Demokratisierung der DDR überschwappt. Senatssprecher Kolhoff wirft der Regierung Modrow schlankerhand vor, sie hätte dem Druck der Umweltgruppen nachgegeben. Senator Wagner protestiert rüde gegen den „Vertragsbruch“. Maßnahmen werden angedeutet. Wohlgemerkt: Es geht nur um die Aufkündigung von alten Knebelverträgen.

Die erprobte bundesdeutsche Demokratie kann es natürlich nicht billigen, daß derart dem Volk nachgegeben wird. So schnell dürfen hierzulande Umweltgruppen nicht siegen. Man darf nun doch erwarten, daß sich die politischen Gruppierungen in der DDR äußern, und zwar a tempo. Sie alle haben Ökologie und Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben. Insbesondere kann man auf den vehementen Protest der SPD-Ost gegen die Amtsarroganz der Amtsherren ihrer Schwesterpartei gespannt sein. Oder gibt es nur demokratischen Mut gegenüber der SED? Wenn denn die schnelle Vereinigung beider Deutschlands gewünscht wird, gibt es ja immer noch Interessen der DDR-Bevölkerung. Müllhalde DDR, das bedeutet ja nicht nur die gesundheitliche Gefährdung der Betroffenen in Schöneiche, Schönberg und Vorketzin - es ist auch das Symbol der Demütigung der DDR-Bevölkerung: Deutsche zweiter Klasse, gut genug für die bundesdeutsche Scheiße. Der Wunsch, die Verträge zu kündigen, ist ein Akt der Selbstachtung. Die bundesdeutschen Politiker haben prompt klar gemacht, was sie davon halten - nämlich nichts.

Klaus Hartung