Moskauer ZK-Berater kritisiert Bundes-SPD

■ Deutschlandexperte Portugalow verteidigt SED-PDS

Berlin (dpa/ taz) - Heftige Kritik an der Deutschlandpolitik der SPD übte der Deutschlandexperte der KPdSU, Nikolai Portugalow. Auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in West-Berlin warf er der SPD vor, einen „Vernichtungsfeldzug“ gegen die SED-PDS zu führen. Damit seien die Sozialdemokraten für die Sowjetunion zu einem „unsicheren Partner“ geworden.

Die Abkehr der westdeutschen SPD geschehe zu einem Zeitpunkt, da die SED-PDS der einzige Ordnungsfaktor in der DDR sei und der SPD entgegenkommen könne. Wer von demokratischem Sozialismus rede, könne sich nach langjährigen Kontakten nicht dann Moment zurückziehen, wenn auch die SED-PDS diesen Weg einschlage, erklärte Portugalow auf dem Treffen zum Thema „Die Sowjetunion in Europa“, das gestern zu Ende ging. Auch angesichts der verbreiteten Sorge vor einem „Wiedervereinigungschaos“ in Deutschland habe eine Politik sozialistischer Konvergenz besondere Bedeutung.

Kritik an der Kehrtwende der westdeutschen SPD-Führung übte gestern auch eine Gruppe, die sich selbst „innerparteiliche Opposition in der ehemaligen SED“ nennt, in einem vom 'Neuen Deutschland‘ abgedruckten Offenen Brief. Die grundlegende Umwälzung in der SED werde „von Teilen der SPD falsch eingeschätzt“, heißt es in dem mit „Sehr geehrter Genosse Vogel, Momper, Lafontaine, Brandt, Eppler, Engholm ...“ beginnenden Schreiben. Unterzeichnet ist der Offene Brief von „Dr. Ralf Wessel, (AdW der DDR, Zentralinstitut für Molekularbiologie) im Namen von Genossen aus verschiedenen Kreisverbänden“.

Es sei richtig, daß die Vereinigung von SPD und KPD „eine Gefangennahme einer großen Mehrheit der Mitglieder der damit entstandenen SED war“. Damit sei die Einflußnahme des sozialdemokratischen Teils auf die Führung praktisch unterbunden gewesen, „aber der Geist eines demokratischen Sozialismus ist für viele Mitglieder der Partei nie verlorengegangen.

Doch nach der Umwälzung möchten die SED-Oppositionellen nicht mehr mit der alten Führung identifiziert werden. Sie erwarten von der SPD „eine realistische Beurteilung der SED -PDS, nachdem nach über 40 Jahren zum ersten Mal wieder die Parteibasis die Politik der Partei bestimmen kann“. Das Schreiben schließt mit der Frage: „Wie glaubhaft kann der Beifall der SPD für die Reformer in der CSSR von 1968 sein, wenn vergleichbare Reformen in der jetzigen SED-PDS abgelehnt werden?“

dora