Grüße aus der Mecklenburger Fascho-Szene

Silvesterfeier im Rostocker Antifa-Zentrum „Tante Trude“: Viele sind in den Laden des besetzten Hauses am Doberaner Platz gekommen, um zu klönen, zu trinken und zu tanzen. Gäste sind auch da, aus der Hamburger Hafenstraße. Plötzlich kommt eine Gruppe Skins herein, pöbelt die Leute an, es kommt auch zu Handgreiflichkeiten, einer der Hamburger Autonomen sprüht einem der Eindringlinge das große A auf die Jacke, und nach kurzer Zeit treten die den geordneten Rückzug an. Zurückgelassen werden zwei Handzettel: ein Aufruf der NPD („jetzt muß eine freie Volksabstimmung in beiden Teilen Deutschlands herbeigeführt werden“) sowie eine Zeichnung, auf der ein Skin über einen am Boden liegenden Punk marschiert, dazu die Aufschrift: „Gegen RAF-Terror“. Die Hinterlassenschaften tragen das Signum: „Gebracht am 31.12.1989 von Nazis.“

Der Silvesterbesuch ist der dritte Vorfall binnen weniger Tage. Eingeschlagene Scheiben sind bislang die einzigen sichtbaren Schäden. Doch man merkt den Initiatoren des Infoladens, die dem Umfeld der Vereinigten Linken zuzuordnen sind, auch die Verunsicherung an. Sie möchten gegenüber der Presse ihre Namen nicht nennen. Am nächsten Tag werden die Schäden behoben, man stellt einen Schrank vor die herausgeschlagene Scheibe.

Während der Aufräumarbeiten kommen zwei alte Männer in den Laden, holen einen Aufruf zur Demo gegen Neonazis aus der Tasche und fragen, ob sich die Mannschaft der „Tante Trude“ anschließt. Natürlich, und auch die „Linken Schüler“ würden sicher dabeisein. Die Alten kommen vom „Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer“ und gehen sehr engagiert zu Werke. Für sie erschließen sich vollkommen neue Perspektiven - nicht mehr nur einmal im Jahr den Achtkläßlern in Jugendstunden den verordneten Antifaschismus vermitteln, sondern wie ganz früher nach Verbündeten suchen bei der Abwehr der Rechten.

„SS-Geheimorganisation“

Im äußersten Nordbezirk der DDR häufen sich die Vorfälle mit eindeutig rechtsextremem Hintergrund. In Wolgast läuft derzeit ein Verfahren gegen acht Angehörige einer „SS -Geheimorganisation Wolgast“, die sich bereits in Dienstgrade strukturiert, mit Jagdwaffen ausgerüstet und eine eigene Satzung gegeben hatten. Bei Kameradschaftstreffen wurde Führers Geburtstag genauso gefeiert wie antisemitische Lieder gegrölt wurden.

Auch für das Rostocker Neue Forum ist die anwachsende Gefahr von Rechts nicht zu übersehen. Dietlind Glüer vom Sprecherrat verweist auf das Aufbrechen von bislang latent vorhandener Ausländerfeindlickeit und Deutschtümelei. Aber zugleich fragt sie - wie viele andere in diesen Wochen auch

-: Wird nicht mit der Gefahr des Rechtsradikalismus Angst unter der Bevölkerung geschürt, um ihnen die Notwendigkeit von Polizei und Verfassungsschutz klarzumachen? Zum Beispiel bekam das Neue Forum von der Polizei gesteckt, es gebe Hinweise, daß sich Neonazis bei einem Abstecher nach Lübeck Waffen besorgt hätten und gewaltsam gegen die Teilnehmer der Antifa-Demo am 9.Dezember vorgehen wollten. Zivilpolizisten mit Waffen würden daher den Zug begleiten. Den „Sicherheitspartnern“ der Volkspolizei wurde äußerst unwohl bei diesem Vorschlag - aber ob tatsächlich eine Gefahr bestand, konnten sie kaum ein schätzen.

Unklar ist auch die Herkunft eines anonymen Briefes, der Anfang des Monats beim Neuen Forum in Rostock eintraf. Unter einem großen Hakenkreuz las man: „Ihr, Bahnbrecher des politschen Umbruchs sowie Wegbereiter der neuen Zeit, seid unsere Schrittmacher. (...) Wir dürfen nicht zulassen, daß der Verfassungsschutz gebildet wird. Er hat sich zum Ziel gesetzt, an erster Stelle uns Republikaner zu bekämpfen. Für uns nicht zu akzeptieren. Die Bildung eines Nachrichtendienstes stört uns nicht. Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, daß der alte Stamm der Polizei abgebaut wird. Neue Kräfte müssen hinein, und damit haben wir die Möglichkeit, uns in der neuen Polizei zu verankern. Eine Auswahl geeigneter Männer steht schon dafür bereit. (...) Wir Republikaner haben eine exaktes Programm und eine klare Zielstellung. Wir werden wieder Zucht und Ordnung herstellen. Unsere Zukunft - Großdeutschland!“

Zeugen werden eingeschüchtert

Um die Ermittlungen in Sachen Neonazis steht es schlecht. Die alte Stasi darf nicht mehr. Ihr Oberermittler arbeitet heute als „Hemmschuh-Setzer“ - so die offizielle Bezeichnung seiner Rangierertätigkeit auf dem Rostocker Güterbahnhof. Alle Akten sind im früheren Stasi-Gebäude versiegelt. Dort wiederum verkünden Transparente: „VP ist Sicherheitspartner“. Doch für die Volkspolizei ist das Feld Rechtsradikalismus vollkommen neu, sie tappt hier weitgehend im dunkeln. Die Bereitschaft zur Zeugenschaft sei bei der Bevölkerung mehr als unterentwickelt, klagen die Kriminalisten. Zeugen in anstehenden Neonaziprozessen sind offenbar unter Druck gesetzt worden - so massiv, daß eine Verhandlung kurz vor Weihnachten kurzerhand abgesetzt werden mußte, weil die Zeugen nicht erschienen waren.

Peter Paul Dürr