KOMMENTAR
: Realexistierende Kulturrevolution

■ Warum die häßlichen Deutschen sich so schön finden

In der Schlange vor dem Klo im Cafe Rostock. Eine junge Rostockerin: „Wir haben ja kein Telefon. Zu uns ist niemand zum Übernachten gekommen.“ Die Dienstälteste Bremerin, als die Rostockerin drinnen ist: „Wir haben es extra so gemacht, daß wir mit dem Bus wieder zurück sind. Die sind ja so beengt mit Wohnungen. Da will man ja nicht noch zur Last fallen.“

Das war ein Irrtum und der einzige Makel beim Rostocker Fest für Bremen. Die allermeisten der samt Braten und Gemüs bereitstehenden Gästebetten blieben leer. Die Bremerinnen mögen die fehlende verkäufliche Bettenstruktur richtig eingeschätzt haben, , was die Mauer-Öffnung Rostocker Seelen angerichtet hat, ahnen sie allenfalls jetzt.

Es geht nicht um Zur-Last-Fallen, auch die nicht unrealistischen Ängste, von den westdeutschen Portemonnaies leergekauft zu werden und bei ohnehin massenfluchtverknappten Arbeitskräften zu zusätzlichen Dienstleistungen gezwungen zu werden – alles wie weggeblasen angesichts der Seeligkeit, endlich einmal freigiebig, gastfreundlich, dankbar sein zu können, das Odium der Bananenrepublikaner abzustreifen, der Lust, selber besuchswürdig zu sein und angesichts der Sucht nach dem großen privat-öffentlichen Palaver nach Jahrzehnten vermuckten Verstummens und der ermauerten Provinzialisierung. Daß die Kulturrevolution auch so aussehen kann, wer hätte das gedacht!

Uta Stolle