„Die sind ja so herzhaft“

Vieltausendfaches Nordlichter-Familientreffen beim „Rostock grüßt Bremen„-Fest in der Partnerstadt  ■  Aus Rostock Uta Stolle

Es sollen schon Sonnabend, als das Fest erst halb um war, 20.000

Bremenser in Rostock gewesen sein, und ein Sonderzug und 33 Busse hin- und hergefahren, und 11.000 Angebote von privaten

Betten hat es gegeben, meine Rostocker Gastgeber hatten gar von 28.000 gehört, und auf der Kröpeliner Straße, der Fußgängerzone, wo sonst am Sonnabend Pflastersteine hochgeklappt werden, waren noch nachmittags Geschäfte offen, und in großen Strömen schoben sich die Menschen aneinander vorbei wie auf der Karstadt-Rolltreppe. Dennoch war dies kein Fest der Superlative. Es war ein vieltausenfaches Nord -Familientreffen.

Auf dem Bahnsteig 8 blusen schon die Dickbacken von der Warnow-Werft ihr gebauchtes Blech zur Begrüßung der 600 aus dem Sonderzug und eben vor den funkelnden Feuerwehroldies, mit denen man sich vor dem Neuen Markt in die nur zart geschwefelten Lüfte brückenheben lassen konnte, Punsch wurde überall ausgeschenkt, kleine Butjer verschenkten Mutters Kaffee auf Bahnsteig 8, und Schwester Katrin lief mit Krapfen herum, 20 Pfennig oder umsonst, es war ein Volksfest, aber wundersamerweise nicht das übliche Gemisch aus Bierleichen und Tschingderassabum.

„Die sind ja so herzhaft!“ brachte eine hart neben den Begriff, was ich vielstimmig aus al

len Abteilen im heimfahrenden Sonderzug gehört habe, in denen ich nach Eindrücken gefragt habe. Das Abteil mit den ArchitektInnen war durch den Slumteil der Altstadt gegangen und hatte sich in der Ausstellung neben dem Rathaus über dessen Neuplanung informiert, erfahren, daß die Grundstückspreise zu steigen beginnen, daß sich neuerdings schwedische und englische Investoren interessieren, aber noch keiner Modalitäten für Investitionen kennt; der Senatsdirektor für Soziales hatte sich auf der Turmspitze der Marienkirche über das Ausmaß der braunkohleverpesteten Luft und die dicken Heizschlote gleich nebendran erschreckt und angesichts mancherlei Verfalls ringsum auch darüber, wie die Leute hier davon abzuhalten sein sollen, sich zu denen zu gesellen, deren Unterbringung in Bremen er sich schon den Kopf zerbricht; eine Frau hatte im Kaufhaus Zentrum „eine ganz eigene Welt“ gefunden, eine andere: „wie bei uns vor vierzig Jahren“, eine hatte deprimiert festgestellt, wie rauh die Handtücher waren und wie hoch die Preise . Aber alle hatten Rostocker getroffen, wieder oder neu, mit denen „über alles“ geredet, über das

bisherige Leben und über „Deutschland“, hatten von einem Alleinstehenden ein böckelndes Zimmer gezeigt bekommen mit dem Klo zwei Treppen tiefer oder ein „großes Wohnzimmer“ von 20 qm, Küche inclusive, die einen unsicher, ob sie zu viert statt, wie verabredet, zu zweit kommen durften und saßen immer noch ziemlich verklärt im Zug: „Die haben sich einfach unheimlich gefreut.“ Die im Nebenabteil waren den ganzen Nachmittag nicht mehr aus der Wohnung derer rausgekommen, die sie nur gefragt hatten, weil sie auf ihrer Karte den Bahnhof nicht finden konnten und bedauerten es nicht. Im Gegenteil. Hatte sich Sozialsenator Hennick Knatterton Scherf mit Ballontarnkappe bloß in das komplette Organisatoren-Ehepaar Vierk verliebt, „aber in ihn ein bißchen mehr“, so andere in ganze Kleinfamilien. Der Herzlichkeit der Rostocker, dem Willen zu zeigen, zu berichten, zu schenken, wegzuweisen, einen ja nichts bezahlen zu lassen, ist kaum jemand entkommen. Noch ein Durchschlagendes: Die Ähnlichkeit. Ein Rostockschlenderer vor den einstöckigen Katen neben St. Jacobi:„Das sind ja die gleichen Häuser wie im Schnoor!“