Swinging Metropolis

■ 59. Zwischenzeit

Der viel strapazierte „echte Berliner„; auf Kutte Widmann paßt der Begriff wie der Stopfer auf die Trompete. Anderes Blech, Posaune nämlich, spielt er im „Haus der tausend Clubsessel“, der Imperator-Diele in der Friedrichstraße. Flott auch auf dem Akkordeon, ist sein ursprüngliches Instrument aber das Schlagzeug. Den „deutschen Hampton“ nennt man ihn; wie der junge Lionel hopst & tobt er, nicht davor zurückschreckend, seinem Orchester auch vor dem Gesangsmikrofon den Ton anzugeben. Dies, obwohl er nicht Englisch spricht und die entsprechenden Titel schlichtweg phonetisch über die Rampe bringt. So kommt er einmal aus dem Aufnahmestudio, zu verkünden, daß dieses eine Stück jetzt eingespielt sei. Welches? „Na dieses Dingsda, irgendwas mit 'Messias‘.“ Es stellt sich heraus, daß er „The Mess Is Here“ meint.

Wenngleich sich das Jazzgeschehen Ende der Vierziger nach Westdeutschland verlagert, die Frankfurter Clique mit ihren Großveransaltungen Furore macht - das Tanzorchester Widmanns hat die Nase vorn mit ersten Schallplattenaufnahmen nach dem Krieg: Lange Zeit noch grübelt die Gemeinde, wer sich wohl unter den Pseudonymen „John Wepp“, „John Webb“ oder „John Weepster & his Orchestra“ verbirgt. Oft steht er auch im Mittelpunkt der spektakulären KappellenWettstreit- & „Swing Heil„-Veranstaltungen (siehe: „deutscher Hampton“). Offensichtlich jedoch überschätzt der Springinsfeld seine Kondition; das Schicksal schlägt brutal zu, mit Herzmuskelriß und mit Beinamputation.

Ein anderer Posaunist und Weggefährte Widmanns übernimmt das Ensemble und schreibt Berliner Musikgeschichte. Es handelt sich um Werner Müller, der das so entstandene RIAS -Tanzorchester in der Glanzzeit von 1949 bis 1953 zu internationalem Ruhm führt, vor allem mit „The Breeze and I“, gesungen von Caterina Valente.

Anfang der 50er geschieht auch das Wunder an Energie in Sachen Widmann. Trotz seiner Behinderung spielt er wieder auf; vor Publikum und im Studio. Und so stirbt er mitten in seinem Come-back 1954, mit 43 Jahren.

In einer Zeit, da sich das Publikum warmtanzen muß, in den Pausen sich schart um den bollernden Ofen, gleich nach dem Krieg also, als „Kohlen“ kein Synonym für Knete ist, sondern der tatsächliche Kies, mit dem der Eintritt entrichtet wird, auf daß man Musikern lausche, die mit Wollhandschuhen Trompete spielen, wimmelte es nur so von heute legendären Musikussen, die endlich ohne Furcht loslegen können, allen Widrigkeiten zum Trotz: Lubo D'Orio, Helmut Zacharias, Fritz Schulz-Reichel, Willy Berking, Erwin Lehn, Franz Thon, Kurt Hohenberger, Heinz Munsonius, Kurt Henkels, Joe Wick, Charlie Tabor... und die Mangelsdorffs, Kurt Edelhagen, Paul Kuhn, Horst Jankowsky stehen in den Startlöchern. Namen tauchen auf wie Ernst Mosch, fetziger Posaunist vor Egerländer Zeiten, Max Greger, der den ersten deutschen Jazz -Poll gewinnen wird, und ein gewisser Hans Last, heutzutag besser als James bekannt und gesunken (oder gestiegen, setzt mans gleich mit dem Bankkonto) zum Createur hinlänglich bekannter, triefender Soundsuppe.

Eine Combo aus Schwyzerland macht sich einen Namen mit purem Jazz; gekonnt hotten sie die Standards rauf & runter. In den Fünfzigern dann beginnen sie zu singen, worüber man durchaus nicht böse ist, bereichern sie doch die Schlagerlandschaft mit den originellsten & witzigsten Nummern seit der Weimarer Zeit. Überdies erweisen sich ihre geschickt geschnittenen TV-Auftritte als Vorläufer der Videoclips: Hazy Osterwald mit seinen Mannen ist gemeint.

Die Szene ist bereit zu großen Veränderungen. In dieser Zwischenzeit wird Swing noch als modern empfunden, doch der Be-Bop lauert bereits, und „Modern Jazz“ wird reagieren. Die Ausführenden werden sich „Existentialisten„-Avantgarde zuwenden oder den Verlockungen des Kommerz erliegen. Der Rock'n'Roll wird den Boogie an sich reißen, Jazzthemen plündern und für weltweite Verflachung sorgen. Und alles, was bis heute seriös gewandet und kalt intellektualisiert als „Jazz“ daherkommt, nennt Horst H. Lange „Jazz-Derivate“. Tatsächlich erweist sich die begriffliche Fixierung manch artifizierten Musikproduktes als schwierig bis fragwürdig.

Doch noch bleibt Opas Jatz eine Galgenfrist äußerster Popularität. Etwas - unvergeßlich jedem Zeitgenossen - in der Badewanne.

Norbert Tefelski