Kirchenschelte auch zum Geburtstag

■ Pastor Heinrich Albertz, der mutige und streitbare Protestant und Ex-Regierender von Berlin, feiert heute in Bremen seinen 75. Geburtstag

Im NS-Regime wirkte er als Pfarrer der bekennenden Kirche. Er wurde mehrmals verhaftet und saß 1943 zwei Monate im Gefängnis, weil er einen Fürbitt-Gottesdienst für den im KZ eingesperrten Pastor Martin Niemöller abhielt. Nach 1945 war er Flüchtlingspfarrer in Celle, trat ein Jahr später der SPD bei und wurde 1948 Flüchtlingsminister in Niedersachsen. 1955 wechselte Albertz in die Berliner Politik, zehn Jahre später wurde er Innensenator und Stellvertreter von Willy Brandt. 1967 wurde er zum Regierenden Bürgermeister nominiert und ärgerte die Große Koalition in Bonn mit kritischen Reden über ihre unbewegliche Deutschlandpolitik.

Albertz damals: „Während wir in gewissem Sinn ein Wurmfortsatz sind und durch das viele Geschwätz zu einem Status-quo-Minus gekommen sind und der Bundestag nur hin und wieder zu einem Betriebsausflug erscheint, vollzieht sich drüber immer mehr ein Konsolidierungsprozeß.“

Im Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg bei einer Anti-Schah-Demonstration erschossen. Wochenlang verteidigte Albertz, das demokratische Engagement der Außerparlamentarischen Opposition verkennend, das brutale Verhalten der Polizei. Aber Heinrich Albertz lernte. Nicht aus Verantwortungsscheu, wie ihm vorgehalten wurde, sondern als Zeichen der „Besinnung“ und Signal eines „neuen Anfangs“ legte er im September 1967 sein Bürgermeisteramt nieder. Nach schweren Auseinandersetzungen mit der SPD gab er bis 1970 auch alle weiteren Partei- und Regierungsmandate zurück und wechselte wieder in den Dienst der Kirche. Fünf Jahre später wurde es erneut um ihn laut. Er begleitete fünf nach der Entführung des CDU-Chefs Lorenz freigepreßte „Terroristen“ auf den Flug nach Aden. Später engagierte er sich in der Friedensbewegung.

Still ist es um diesen lautstarken Demokraten nie geworden; ob Konflikt um die gewaltsame Räumung der Hafenstraße, ob Diskussion um die Begnadigung von RAF-Terroristen, immer wieder mahnt Albertz für Menschlichkeit und gegen staatliche gewaltsame Konfliktlösungen. „Gnadenunwürdig sei niemand“.

Auch mit Kritik an der Kirche geizte Albertz nie; rechtzeitig zum Geburtstag warf er der evangelischen Kirche in der Bundesrepublik jetzt vor, daß sie sich im Gegensatz zu den Protestanten in der DDR immer auf die Seite der Mächtigen stellt. „Wir hingen (durch Einführung der Kirchensteuer nach 1945) an der Nabelschnur des Staates und wurden (dadurch) eine der reichsten Kirchen der Welt.“

Heinrich Albertz ist immer unbequem gewesen, auch für uns. Sein taz-Abonnement hatte er aufgrund ungenauer Berichterstattung zeitweilig gekündigt. Wir wünschen ihm noch weitere streitbare Jahre, der politischen Kultur wegen.

ak