„Wut, nein, Wut habe ich keine“

■ Graca Magalhaes ist Brasilianerin, 39 Jahre alt, Putzfrau, Mutter von sieben Kindern und schwarz. Andreas Weiser hat sie ihre Geschichte erzählt.

Am 17.Dezember 1989 erlebte Brasilien zum ersten Mal seit 1964 freie Wahlen. Zum Präsidenten gewählt wurde ein Millionärssohn: jung, hübsch, wortgewandt und nach eigenem Bekunden großer Gegner jeglicher Korruption (er hat's ja auch nicht nötig! d.S.). Das reichte. Vergessen war seine Mitgliedschaft in der „Arena“, der Partei der Militärs während deren 20jähriger Diktatur. Verdrängt, daß seine Partei, die PRN („Partei des nationalen Wiederaufbaus“) einzig und allein zum Zwecke seiner Präsidentschaftskandidatur gegründet worden war.

Gewählt haben ihn ausgerechnet die Armen, die Analphabeten, die Marginalisierten. Sie, deren einzige Informationsquelle „Rede Globo“, der Welt drittgrößter und überaus konservativer Medienkonzern war und ist, wählten einen Mann, der ihnen versprach, mit Brasiliens zentralem Übel, der Korruption, aufzuräumen. Ein Versprechen, mit dem schon viele die Macht erlangten, um sie dann für sich auszunutzen. Immer wieder schafft es Brasiliens weiße Machtelite, das hungernde Volk (80 bis 90 Millionen Brasilianer leben am Rande des Existenzminimums) für dumm zu verkaufen. Die Chancen als „Unterschichtskind“ eine einigermaßen vernünftige Ausbildung zu erhalten oder zumindest lesen und schreiben zu lernen, sind schlecht. Lehrer sind die mit am schlechtesten bezahlten Staatsdiener. Das Vorenthalten von Bildungsmöglichkeiten hat System, so scheint es.

Wer aber ist das Volk? Wer sind die, die immer am Rand leben müssen? Deren Leben ein täglicher Kampf gegen Hunger, Wohnungselend, Kriminalität und Drogen ist?

Graca Magalhaes ist eine dieser namenlosen Millionen. Sie ist 39 Jahre alt, Mutter von sieben Kindern und schwarz. Sie lebt ohne Mann, zusammen mit ihrer Schwester, einer anderen Frau und deren Kindern, insgesamt zwölf Personen, auf einer Wohnfläche von etwa 35 Quadratmetern. Ihr Zuhause: eine feuchte, stickige Baracke, eingequetscht zwischen einer Hauptverkehrsstraße und einer Mauer. Für umgerechnet 300DM pro Monat arbeitet sie sieben Tage die Woche in einem der teuersten Hotels Rio de Janeiros, dem Caesar Park Hotel in Ipanema. Hier kostet das billigste Zimmer 300 Dollar die Nacht.

So wie Graca ergeht es Millionen anderer Cariocas (die Einwohner Rios nennt man in Brasilien Cariocas). Ihr Schicksal ist normal.

Andreas Weiser

Also man sagt ja, Rio sei eine wunderbare Stadt. Für die Touristen, die die Stadt ja nur besuchen, mag das zutreffen. Für uns aber, die wir hier leben... Wenn ich ein Bild von Rio malen würde, das wäre schon sehr verschieden von dem Rio der Touristen. Das Bild hätte zwei Seiten: Copacabana, Leblon, Ipanema, also das Glück der Begüterten auf der einen Seite. Die andere Seite, die Seite Rios, auf der wir leben, wäre ein Bild des Elends, wo alle nach Gottes Hilfe rufen. So sähe mein Bild von Rio aus, ein Bild mit Gottes geöffneten Armen... (sie lacht).

Mit 15 hat sich bei mir viel verändert. Es war das letzte Jahr, in dem meine Mutter noch lebte. Ich erinnere mich sehr gern an diese Zeit kurz vor ihrem Tod. Es war eine wunderbare Zeit. Mein letzter Geburtstag, den ich zusammen mit meiner Mutter erleben konnte. Nachdem sie gestorben war, mußte ich für meinen Lebensunterhalt selbst sorgen. Die Familie, bei der ich dann als Hausangestellte arbeitete, habe ich Zu Hause kennengelernt. Sie besuchten öfters meine Mutter, um deren spirituelle Fähigkeiten in Anspruch zu nehmen.

Meine Mutter war eine Macumbapriesterin. Also diese Leute waren praktisch Kunden meiner Mutter. Als sie dann tot war, fragte ich diese Familie, ob ich bei ihnen im Haushalt arbeiten könnte. Es klappte. Drei Jahre lang habe ich dann dort gewohnt und als Hausangestellte gearbeitet. Die Arbeitstage in dieser Familie waren sehr schwer für mich. Aber ich gewöhnte mich daran. Das Leben mit 15 war eben so und nicht anders: Halb fünf Uhr aufstehen, den Cafe für den Patron zubereiten, um fünf Uhr zur Bäckerei, um Brot zu kaufen, dann zurück, Frühstück machen, halb sieben dann wieder raus zum Markt, Lebensmittel einkaufen. Danach die Wohnung sauber machen, das Mittagessen für die Familie zubereiten und dann Wäsche waschen. Um halb sieben Uhr abends hatte das Abendessen auf dem Tisch zu stehen.

Nach einem solchen Arbeitstag bin ich jeden Abend um halb acht noch in die Schule gegangen. Daß die Familie, für die ich arbeitete, mich irgendwie mal unterstützt hätte, das kam nie vor. Wenn ich nachts, nach der Schule, so gegen halb elf wieder nach Hause kam, stand meist noch das gebrauchte Geschirr überall rum und ich hatte noch eine ganze Weile mit Aufräumen zu tun. Erst dann konnte ich mich schlafen legen. Das war meist so gegen zwölf oder ein Uhr nachts. Ja und dann jeden morgen wieder um halb fünf aufstehen. Jeden Tag, ohne Pause. Wir alle - also meine Geschwister und ich haben uns allein durchs Leben schlagen müssen. Eine meiner Schwestern war gerade acht Jahre alt, als sie anfing, als Hausmädchen bei einer Familie zu arbeiten. Das, was wir an Geld brauchten, mußten wir uns selbst besorgen. Und ich hatte immer den gleichen Wunsch, jemanden zu haben in meinem Leben, weißt du? Dafür habe ich gekämpft. Ich hatte so Sehnsucht nach jemandem, der mir nahe steht. Das war mein größter Traum. Aber unglücklicherweise hat es nie so richtig geklappt. Es blieb beim Wunsch (sie lacht).

Ein Durchschnittstag beginnt bei mir um sechs Uhr morgens. Ich stehe auf, mache mich für den Tag fertig und fahre mit dem Bus zur Arbeit. 20 vor acht geht's los im Hotel und um vier Uhr nachmittags ist dann Schluß. Dann erhole ich mich etwas bei einem Bier oder so. Zu Hause bin ich so gegen sieben, halb acht. Dann werden die Kinder versorgt, Essen gekocht, Haushaltsarbeiten erledigt. Gegen zehn, halb elf gehe ich dann schlafen. Meine Woche hat sieben Arbeitstage. Also einen arbeitsfreien Tag gibt es nicht. Urlaub habe ich 30 Tage im Jahr.

Meine Schwester und ich versorgen die Kinder alleine. Das heißt, was wir verdienen teilen wir auf, um alle zu ernähren. Ich verdiene im Monat 150 Cruzados Novos. Das ist mehr, als meine Schwester bekommt. Ich arbeite eben im Hotelgewerbe, da ist der Lohn immer etwas höher. Meine Kinder arbeiten noch nicht, das geht erst dieses Jahr los. Aber für alle zusammen reicht unser gemeinsamer Verdienst bei Weitem nicht aus, und wir zahlen für diese Baracke hier ja noch nicht einmal Miete. Es bleibt uns nichts übrig, als unseren Haushalt so optimal wie möglich zu organisieren. Alles muß genau und gerecht geteilt werden. Das Essen ist begrenzt, und verderben lassen darf man schon gar nichts. Irgendwie läßt es sich dann doch so leben. Reis, Bohnen, etwas Fleisch, Gemüse. Das sind unsere Mahlzeiten. Irgendwelche Besonderheiten sind nicht drin. Früchte z.B., die hier sehr teuer sind, können wir uns nur ganz selten leisten. Also für Reis, Bohnen und manchmal Fleisch langt es. Aber Leckereien wie Joghurt oder Früchte sind nicht drin. Dasselbe gilt für die Kleidung. Das Billigste und Einfachste muß für uns reichen.

Eine gute Schule für meine Kinder kostet viel Geld. Das können wir also auch vergessen. Die Kinder gehen alle auf eine staatliche Schule. Dort aber wird schon seit vier Monaten gestreikt und das bedeutet, seit vier Monaten schon gibt es keinen Unterricht mehr.

Das Trinkgeld, das ich ab und an im Hotel von den Gästen bekomme, geht für den Bus drauf. Ab und zu kann ich mir davon ein Paar Schuhe oder ein Hemd kaufen. Dinge, für die mein normaler Lohn nicht ausreichen würde. Wenn ich nicht das Privileg hätte, im Hotel arbeiten zu können, wenn ich zum Beispiel auf einer Behörde oder so arbeiten müßte, wo dann hin und wieder gestreikt wird, dann würde mein Verdienst für überhaupt nichts mehr reichen.

Die größte Schwierigkeit, mit der man in Rio zu kämpfen hat, ist einen Platz zum Wohnen zu finden. Es gibt einfach nichts, was bezahlbar wäre. Die Wohnungen, die angeboten werden, sind viel zu teuer. Arbeit ist kein Problem. Wer arbeiten will, findet auch was. Es wird schlecht bezahlt, aber Arbeit gibt es immer. Aber einen Wohnung zu finden, ist wahnsinnig schwierig. Ich zum Beispiel suche schon lange eine vernünftige Wohnung. Aber mein Lohn reicht für diese Mieten einfach nicht aus. Die billigsten Mieten liegen so bei 50 bis 60 Cruzados Novos. Das ist für meine 150 im Monat einfach zu viel. Ich suche und suche, aber ich finde einfach nichts.

Es besteht immer die Gefahr, daß wir von hier vertrieben werden, wenn die Regierung das Gelände, auf dem unsere Baracke steht, einmal brauchen sollte. Wenn das passieren sollte, müssen wir weg von hier. Alle Leute, die so leben wie wir, haben enorme Probleme mit dem Regen, der regelmäßig um den Februar herum besonders stark und schlimm ist. Die Regierung kümmert das nicht. Die hilft nicht, wenn der Regen die Hütten, die zum Beispiel unter Autobahnbrücken stehen, wegschwemmt. Die Stadt ist total pleite, es gibt kein Geld für nichts. Als es vor einem Jahr hier so stark geregnet hat, wohnten wir in einer Hütte in Santa Theresa. Der Regen hat sie praktisch weggeschwemmt. Es war für uns unmöglich, weiter dort zu bleiben. Meine Schwester hat dann diese Hütte hier gefunden. Wir zogen hierher und werden hier bleiben müssen, bis wir etwas Besseres gefunden haben.

An solchen Tagen ohne Kraft und ohne die Energie, weiterzukämpfen, bin ich in die Kirche gegangen, habe dort oft stundenlang gesessen und geweint. Gott war es, der mir dann meine Kraft zurückgab. Wenn ich die Kirche wieder verließ, ging es mir viel besser. Das erste, was ich dann sah, war oft irgendeine, auf den Treppenstufen der Kirche sitzende Frau, die bettelte. Dann hab ich bei mir gedacht, der geht es noch schlechter als dir. Und auch das hat mir Kraft gegeben. Wenn ich dann mal wieder auf die Schnauze fiel, wollte ich mich einfach nicht mehr so hängen lassen, sondern aufrecht bleiben (sie lacht).

Ich glaube, was letztendlich Kraft zum Überleben gibt, ist das Spirituelle. Wo diese Kraft allerdings zu sehen ist, das kann ich auch nicht sagen (sie lacht).

Auch wenn ich manchmal lustlos bin, mich einfach nicht mehr abrackern will, ist das kein Hindernis mehr. Das habe ich von meiner Mutter. Und nicht nur ich. Alle meine Geschwister haben diese spirituell bedingte Kraft.

Nein, Wut habe ich keine. Jeder führt doch eine Art Lebenskampf und möchte irgendwie siegen. Niemand ist einfach nur so reich, ohne dafür gekämpft zu haben (sie lacht).

Das ist der Grund, warum ich keine Wut habe. Ich habe nichts gegen die Leute, die weitergekommen sind, auch die mag ich. Ich bin es einfach gewöhnt. Wut, nein, Wut habe ich keine. Ich glaube, wenn jemand es geschafft hat, reich zu sein, dann hat er wohl ordentlich dafür kämpfen müssen, ist doch so, oder? Allerdings glaube ich wohl, daß das brasilianische Volk sehr schicksalsergeben, sehr angepaßt ist. Man sieht, was vor sich geht, aber niemand tut etwas. Unser größtes Problem in Brasilien ist, daß wir keine guten Politiker, keine fähige Regierung haben. Die Regierung tut nichts für die Armen, sie kümmert die Hungerlöhne nicht, von denen wir leben müssen. Wer den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn erhält, ist zum Hungern verurteilt. Unmöglich, davon satt zu werden oder gar die Miete bezahlen zu können. Es reicht einfach nicht zum Leben. So sieht es bei uns aus. Manchmal denke ich, warum ist das nur so. Aber Brasilien ist eben ein Land für die Reichen.

Die Klasse der Schwarzen in Brasilien war und ist unterprivilegiert. Deswegen glaube ich, ist es für die Unterprivilegierten unerhört wichtig, zu Menschen aus dem Ausland und auch zur Mittelschicht, die eben ein paar Stufen höher steht als wir, Kontakt zu bekommen, da Verbindungen herzustellen. Das ist sehr wichtig für mich. Und nicht nur für mich, das ist wichtig vor allem für die Zukunft meiner Kinder.

Im übrigen liebe ich meine Hautfarbe. Ich bin schwarz, und das gefällt mir. Manche von uns haben was gegen die Verbindung zu Weißen. Aber für mich gilt das nicht. Mir ist es egal, ob ich mich unter Schwarzen oder Weißen befinde. Ich liebe meine Farbe. Aber vor allem: Ich bin ich. Und nicht jeder ist okay, nur weil er schwarz ist. Der Vater meiner Kinder ist weiß und ist so blond und hat so blaue Augen wie ihr. Mir ist egal, ob einer weiß oder schwarz ist.

Den Vater meiner Kinder habe ich kennengelernt, da war ich 17. Eines nachts, nach der Schule, bin ich ihm an der Copacabana über den Weg gelaufen. Er hat mich zu einem Saft eingeladen; naja und so ging's los mit uns beiden. Aber Heirat (sie lacht), das war nichts für mich (lacht).

Niemals hab‘ ich was auf Heirat gegeben. Ich glaube, wenn zwei sich mögen, können sie auch ohne Heirat zusammen leben. Ich war mit ihm zusammen, 15 Jahre, ohne Heirat. Und jetzt hab‘ ich sechs Kinder von ihm. Und dazu noch ein fremdes, das ich aufgenommen und wie mein eigenes großgezogen habe. Und ich liebe sie, meine Kinder. Manchmal denke ich allerdings schon, wieviel Chancen hier rauszukommen ich verpaßt habe, nur wegen der Kinder.

Aber so wie es gekommen ist, ist es auch gut. Meine Kinder haben mir auch viel Gutes und die Kraft zum weiterkämpfen gegeben. Meine Kinder sind meine Kraft (sie lacht).

Das Beste, was ich mir vorstellen konnte, als ich den Vater meiner Kinder kennenlernte, war eine Familie zu haben, ohne Heirat natürlich. Mit 18 bekam ich mein erstes Kind. Zu dieser Zeit war ich noch völlig naiv. Ich hab‘ mir nichts Negatives zu Männern vorstellen können. Der Vater meiner Kinder war mein erster Freund, mein erster Mann und gleichzeitig der letzte, mit dem ich zusammengelebt habe. Erst über die Jahre hat sich mein Bewußtsein verändert. Von dem Bewußtsein eines Mädchens zu dem Bewußtsein einer Frau.

Jetzt bin ich es nicht mehr gewöhnt, mit einem Mann zusammenzuleben. Ich liebe meine Freiheit. Auch wenn ich für meine Kinder hart arbeiten muß, so bin ich doch frei. Ich kann gehen, wohin ich will und trage die Verantwortung für das Leben selbst.

Wenn ich mit einem Mann zusammenleben müßte, müßte der auch Verantwortung übernehmen. Und da die brasilianischen Männer das nicht wollen, bleibe ich lieber allein und fühle mich frei. Ich habe keine Lust mehr, bei einem brasilianischen Mann um Geld zu bitten, der in seinem Lehnstuhl sitzt, meckert und stöhnt, ach, für was brauchst du das, ist das wirklich nötig, und so weiter. Ich bin lieber unabhängig.

Diese Einstellung habe ich mir erst mit der Zeit angeeignet. In meiner Jugend war das noch anders. Da bin ich zum Vater meiner Kinder gerannt, um um irgend etwas zu bitten. Ich war sehr abhängig von ihm. Aber nachdem ich so oft meine Kinder hab‘ hungern sehen müssen, weil nicht mal Geld für Brot da war, habe ich den Kampf für sie selbst aufgenommen und mich unabhängig von den Männern gemacht. Jetzt bin ich nur noch von mir selbst abhängig.

Wo der Vater meiner Kinder jetzt steckt, weiß ich nicht. Manchmal treffen wir uns, weil er die Kinder sehen will. Wir sind Freunde geblieben, so auf der Ebene: „Wie geht's, alles klar?“ und so weiter. Das ist alles, mehr ist nicht mehr drin zwischen uns. Die Kinder, die habe halt ich zu versorgen. Das ist in Brasilien ganz normal. Die Männer verschwinden und überlassen die Verantwortung für das Leben der Kinder den Müttern. Ich glaube, die Frauen sollten sich dagegen wehren. Aber unglücklicherweise richtet sich die neue Verfassung, die die Regierung jetzt ausgearbeitet hat, gegen die Interessen der Frauen. Die Ehemänner haben jetzt überhaupt keine Verantwortung mehr ihren Frauen gegenüber. Wenn zum Beispiel jetzt eine Frau mehr als ihr Ehemann verdient, ist sie verpflichtet, diesen Mehrverdienst mit ihm zu teilen (sie lacht).

Was also sollen die Frauen machen, wenn sowas in der Verfassung steht? Die brasilianischen Frauen werden von niemandem unterstützt. Also ist jeder Versuch, sich zu wehren, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Du hast verloren, noch ehe du richtig angefangen hast. Mein Bewußtsein über diese Ungerechtigkeit ist klarer geworden. Aber was mit den anderen Frauen ist, und was Frauen im allgemeinen betrifft, keine Ahnung.

Wir helfen uns schon gegenseitig, eine gibt der anderen Kraft. Finanziell können wir uns allerdings nicht unterstützen. Wir alle leben unter den gleichen Bedingungen. Auch irgendwelche organisierten Frauenvereinigungen kenne ich nicht. Wenn du so lebst wie wir, hast du für nichts Zeit.

Du mußt dich um den Haushalt kümmern, arbeiten gehen, dich ständig abrackern. Für Versammlungen bleibt einfach keine Zeit. Was meine Töchter angeht, so haben sie wohl das gleiche im Kopf wie ich (lacht).

Lernen sollen sie und wachsen. Sie sollen versuchen, das, was sie wollen, auch zu erreichen. Ihr eigenes Leben sollen sie leben. Ich selbst habe mit dem, was ich wollte, kein Glück gehabt. Ich bekam einfach nicht, was ich wollte. Und deshalb, denke ich, sollen sie kämpfen, um zu erreichen, wonach sie streben. Und ich glaube, sie haben ihre Chance.

Eigentlich sind alle meine Jugendträume schon ausgeträumt. Was noch geblieben ist? Ich würde sehr gern einmal zwei Jahre außerhalb von Brasilien, vielleicht in Europa, arbeiten. Einfach, um endlich ein bißchen mehr Geld verdienen zu können. Ich denke, ich könnte das jetzt machen, weil meine Kinder langsam alt genug sind, sich selber zu versorgen. Das also ist zur Zeit mein größter Traum (lacht).