Partei der Ideologie

■ Alles entideologiert sich, nur die Grünen nicht

Die Grünen gruppieren sich nicht um die Ideologie, sondern um Probleme, sagte die Beisitzerin im Bundesvorstand der Grünen, Renate Damus, am Wochenende auf dem kleinen Parteitag. Der Satz verblüfft ob seiner grotesken Fehleinschätzung der gegenwärtigen Lage der Partei. Vieles spricht dafür, daß es gerade umgekehrt ist und es wohl derzeit keine Partei in der Bundesrepublik gibt, die solchermaßen ideologisiert ist. Das geschieht ausgerechnet in einer Zeit, in der allenthalben alte Gewißheiten zerfallen, festgezimmerte Philosophien in galoppierender Auflösung begriffen sind und weltbeherrschende Blockkonzepte obsolet werden. Bei den Grünen merkt man nichts davon. Frischluftzufuhr vermeidet man möglichst, und ein Teil der Partei übt sich im Einigeln und in der Verteidigung alter Gewißheiten.

Dabei sind es doch gerade die Grünen gewesen, die einst jenseits aller Ideologien die Lebenswelt der Menschen und die bedrohte Umwelt in das Zentrum der Politik stellten. Sie hievten erfolgreich die Gattungsfrage, den Kampf um ein Überleben der Menschheit jenseits des Technologiewahns und der Blockkonfrontation auf die Tagesordnung, ohne sich um das festgefügte Schema von Haupt- und Nebenwidersprüchen zu scheren. Natürlich war das damals auch ein Reflex auf die politische Sackgasse der Sektiererei kommunistischer Gruppen und Grüppchen, deren undemokratische Strukturen mit eingebautem Unfehlbarkeitsmechanismus der Führung zur seelischen Selbstverstümmelung vieler Aktiver führte.

Die Art und Weise, wie heute in der grünen Parteihierarchie gestritten wird, erinnert in mancherlei Hinsicht an damalige Zeiten. Vergessen scheint die offene, ehrliche Auseinandersetzung, die sich so wohltuend von anderen Parteien mit Fraktionszwang unterschied. Heute schwebt über allem ein abgrundtiefes Mißtrauen. Jeder ist zuerst einmal Feind bis zum Beweis des Gegenteils. Zuhören ist nicht mehr gefragt, wenn die Strömungslogik exekutiert wird.

Es ist wohl kein Zufall, daß die Schwäche der Grünen gerade in der europäischen Umbruchphase aufbricht. Wer keine neuen Antworten geben mag oder kann, der versteift sich auf die alten Phrasen. Damit aber wird die Partei zur randständigen Existenz, die mit ihren Schimpfkanonaden gegen die anderen Parteien bloß ihren Mangel an überzeugenden Konzepten kaschiert. Es ist bezeichnend, wenn die Versuche, in der Partei integrierend zu wirken und die Gesamtpartei darzustellen, ohne Widerspruch als „peinliche Schönfärberei“ niedergemacht werden können. In der Parteiführung scheint man im Kampf um den ideologischen Grundfesten jedenfalls die Gesamtpartei längst aus den Augen verloren zu haben. Aus eigener Kraft wird es der Vorstand nicht schaffen, aus der gegenseitigen Verklammerung herauszufinden. Es wird wohl der Parteibasis, die sich in den Kommunen solche zerstörerischen Schattengefechte nicht leisten kann, vorbehalten bleiben, ob die Grünen noch die Kurve kriegen.

Gerd Nowakowski