Auf dem Umweg über die DDR

Zur Gründung der „Deutschen Sozialchristlichen Union“  ■ K O M M E N T A R E

Es konnte nicht ausbleiben, daß die nationale Welle, die die DDR seit November vergangenen Jahres vom Süden her überrollt, auch im Parteienspektrum der DDR ihren Niederschlag finden würde. Die Fusion von elf Grüppchen und Gruppierungen aus Sachsen, Thüringen, Mecklenburg und Brandenburg zur DSU ist insofern ein eigenes Produkt der politischen Entwicklung in der DDR. Es beginnen sich jetzt auch jene zu organisieren, die im Herbst noch abgewartet haben und denen die Zukunft ein offenes Buch zu sein scheint, erschöpft sich ihre Vision doch in dem Anliegen, möglichst schnell von der größeren BRD geschluckt zu werden. Über die innenpolitischen und die internationalen Konsequenzen eines solchen Schrittes scheinen sie sich kaum Gedanken zu machen.

Der Name der neuen Partei reimt sich nicht zufällig eher auf „CSU“ als auf „CDU“. Im Rahmen der Übertragung des bundesrepublikanischen Parteienspektrums auf die DDR werden nun auch die Differenzen zwischen den beiden C-Parteien kopiert. Das ist vor allem ein Ergebnis der finanziellen Angebote und politischen Anstrengungen der CSU, die von der Angst geplagt wird, in einem vereinigten deutschen Staat aufgrund ihrer regionalen Beschränkung ganz erheblich an politischem Gewicht zu verlieren. Sie realisiert nun die jahrzehntealte Drohung einer Ausweitung ihres Organisationsraumes auf dem Umweg über die DDR. Intelligentere CDU-Funktionäre als deren gegenwärtiger Generalsekretär - etwa sein Vorgänger Geißler - haben das längst begriffen und möchten sich deshalb die Option, mit der DDR-CDU zusammenzuarbeiten, offenhalten. Besteht doch für die CDU die Gefahr, daß sie in einigen Monaten mit leeren Händen dasteht, auch wenn sie jetzt in die Finanzierung der DSU miteinsteigt.

Die Übertragung des bundesdeutschen Parteienspektrums auf die DDR bedeutet, daß die Konfliktlinien, die die demokratische Revolution in der DDR hervorgebracht haben, noch vor dem 6. Mai beiseite geschoben werden. Es wird taktiert, als ob der SED-Staat bereits überwunden wäre und nurmehr die inneren Differenzen der Volksbewegung selbst eine Rolle spielen würden. Verloren geht dabei der Konsens der demokratischen Opposition und auch der Versuch, in einen vereinigten deutschen Staat - wenn er denn kommen sollte Errungenschaften der demokratischen DDR-Revolution einzubringen, etwa die Idee einer stärker partizipativen Demokratie als sie im bundesdeutschen Parteienstaat existiert, die Betonung ökologischer Werte u.a.m.

Wenn CDU-Generalsekretär Rühe gegenüber der 'Welt am Sonntag‘ zur Aufgabe der neugegründeten Partei erklärt, gegen den „Sozialismus von SED und SPD“ zu kämpfen, dann zeigt er, daß er - entgegen seinen sonstigen Deklarationen die SED längst für einen toten Hund hält. Als den eigentlichen Gegner, den es nach seinem Politikverständnis nun mit Dreck zu bewerfen gilt, hat er die Sozialdemokratie West und Ost ausgemacht. Wahrscheinlich wird der Versuch gelingen, auch noch bundesdeutsche Schmutzkampagnen als Entwicklungshilfe für eine „politische Kultur“ in die DDR zu exportieren. Verschleudert würde damit das junge Erbe der ersten erfolgreichen deutschen Revolution. Daß das Spezifikum dieser Revolution - ihr demokratischer Charakter

-in dem Namen der neuen Partei nicht auftaucht, ist schwerlich ein Versehen. Das Projekt, um das es ihr geht, verträgt sich kaum mit einer revolutionären, radikaldemokratischen Legitimation.

Walter Süß