NRW-CDU kämpft im Osten um die Macht am Rhein

Norbert Blüm und die CDU in Weimar auf der Suche nach einer unbelasteten liberalkonservativen Kraft / Angst um Startvorteil der SPD  ■  Von Walter Jakobs

Weimar(taz) - Norbert Blüm schaut seinem Gegenüber fest in die Augen. „Ich betrachte meinen Diskussionsbeitrag als Ratschlag in der Familie.“ Und dann kommt der Arbeitsminister West, der nach der Landtagswahl am 13. Mai in Düsseldorf Johannes Rau ablösen will, zur Sache. „Wir haben am 6. und 13. Mai zwei Wahlen. Der unvergleichbar wichtigere Termin ist der 6. Mai. Die Wahl können Sie nur bestehen, wenn Sie auf klare Distanz zur SED gehen.“ Doch für diese nur mäßig verklausulierte Aufforderung zum sofortigen Austritt aus der Modrow-Regierung ist der angesprochene Oberkirchenrat Martin Kirchner eigentlich die falsche Adresse.

Kirchner, Generalsekretär der Ost-CDU, der am Samstag mit der gesamten Führungsspitze der NRW-CDU im „Russischen Hof“ zu Weimar zusammensitzt, hat erst einen Tag zuvor vergeblich versucht, im Präsidium der Ost-CDU den sofortigen Rückzug aus dem Kabinett durchzusetzen. Er weiß, „daß der Wähler das negativ quittieren wird, wenn wir drinbleiben“. Für ihn persönlich ist die Präsidiumsentscheidung, die der Partei „schweren Schaden“ zugefügt habe, „unaushaltbar“. Für die hektisch nach einem erfolgversprechenden DDR-Partner suchende West-CDU auch. Die Oppositionsrolle ist das mindeste was CDU-West, aber auch große Teile der Basis der CDU-Ost von ihrer Führung verlangen. Selbst dann hat die ehemalige Blockpartei noch genug Probleme. Martin Kirchner spricht von der CDU als einer Partei „mit großen Belastungen aus der Vergangenheit“. Doch, so fügt der Oberkirchenrat sogleich hinzu, „jetzt ist es zweitrangig, ob eine Partei in der Vergangenheit einen Weg gegangen ist, der sie schuldig werden ließ, sondern es geht um den 6.5.“. Wenn die SPD so weitermache und „dann Willy Brandt hier auftritt und auf jubelnde Zustimmung von Hunderttausenden trifft“, dann könnte der Traum von einer liberalkonservativen Mehrheit schnell dahin sein. Ein gar fürchterliches Szenario für die Adenauer-Enkel. Kirchner, ein knochenharter Profi, setzt noch einen drauf. Er rechne mit der Auflösung der SED-PDS und der Neugründung einer sozialistischen Partei mit dem Dresdener OB Berghofer an der Spitze. Die könne dann 15 Prozent bekommen und werde mit der SPD, der Kirchner 40 Prozent zutraut, eine Koalition eingehen. Dann sei alles verloren. H. Haupt, führendes Mitglied der Forum-Partei Thüringen, macht da wieder Mut. Er glaubt den Aufstieg der SPD noch stoppen zu können, denn „die meisten von denen waren doch früher in der SED“. Er wisse von einem Ort, wo bei der SPD-Gründungsversammlung von 50 Anwesenden 28 direkt aus der SED rübergekommen seien. „Wenn die Bevölkerung mitkriegt, daß die SPD von der SED unterwandert ist, dann wählt sie die Partei nicht. Das ist unsere Chance.“

Auf diese Karte werden zwar auch die Christdemokraten West setzen, aber ihnen ist zugleich bange wegen der Zersplitterung der „C-Gruppierungen“. Norbert Blüm persönlich hält bewußt auf Abstand zur Ost-CDU. Blüm mag die Wendehälse nicht. Seine Sympathien genießt eher der Demokratische Aufbruch unter Wolfgang Schnur. Dabei geht aber auch die CDU Nordhein-Westfalens davon aus, daß schon in den nächsten Wochen eine Formation entsteht, zu der der Demokratische Aufbruch ebenso zählt wie die Ost-CDU und die am Samstag unter tätiger Hilfe der CSU in Leipzig gegründete Deutsche Soziale Union. Daß die Ost-CDU im Begriff ist dazuzustoßen, zeigte sich auch im Verlauf des Gründungsparteitags des Landesverbandes Thüringen, der ebenfalls am Samstag in Weimar über die Bühne ging. Während Blüm der öffentlichen Vereinnahmung auswich, bezog Walter Wallmann in einer engagierten Rede bewußt für die ehemalige Blockpartei Stellung.

So groß die Schwierigkeiten der West-CDU in der politischen Sphäre auch sind, im ökonomischen Bereich haben die CDU und ihre Klientel alle Konkurrenten längst abgehängt. Mit rasender Geschwindigkeit fährt der Zug in Richtung Marktwirtschaft. Unternehmer Peter Jungen, Vorsitzender der „Strabag“ und der Wirtschaftsvereinigung in der NRW-CDU, kann Anflüge von Triumphalismus kaum zügeln, als er verkündet, daß seine Firma schon in der nächsten Woche mit einem DDR-Partner ein gemeinsames Unternehmen gründen wird. Wolfgang Puppe, Generaldirektor der VEB Elektroapparate in Berlin-Treptow, Chef von 32.000 Beschäftigten, findet das toll. Sein Unternehmen wird spätestens im Februar auch so weit sein. Puppe will die Marktwirtschaft „ohne Wenn und Aber“. Im Betrieb rufen ein paar versprengte Trotzkisten schon dazu auf, die Direktionsetage zu besetzen.

Auch die Frage der Einheit wird durch die Ökonomie geklärt: Jürgen Schwerike, Justitiar von Bayer-Leverkusen und CDU -Landtagskandidat: „Wenn wir eine freie Marktwirtschaft haben, kommt die Einheit von alleine.“ Am Freitag abend auf der Wartburg klang das bei Norbert Blüm noch ein wenig pathetischer: „Ich bekenne mich zur Wiedervereinigung, zur großen Idee Deutschlands.“ Für den von den Christdemokraten geladenen Nationalpreisträger der DDR, Wolfgang Mattheuer, ist das Wort Wiedervereinigung zwar ein „schlimmes Wort“, aber auch er hält die „Einheit in den Grenzen, wie uns sie die Geschichte zugewiesen hat, für die wichtigste Frage“. Kurt Biedenkopf, demnächst Professor in Leipzig, sieht die Einheit über eine „stark relativierte Zweistaatlichkeit“ wachsen. Die bundesstaatliche Einheit könne es aber nur eingebunden in ein gemeinsames Europa geben und „wenn die beiden Blöcke sich zu politisch verzahnten Gebilden verändern“. Das ist - trotz aller großen Worte - auch Norbert Blüms Position. Am Sonntag morgen, in der Weimarer Herder-Kirche, ruft er den DDR-Bürgern zu: „Bleibt eurer Heimat treu. Auch wenn es schwer fällt.“