Wie die Katzen, im Moment davor

■ Premiere am Bremer Schauspielhaus: Petra Dannenhöfer inszenierte Lessings Emilia Galotti

Emilia Galotti, Trauerspiel in fünf Akten und Prosa, 1771 fertiggeschrieben von Lessing, Gotthold Ephraim (1729 -1781), lüsterner feudalabsolutistischer Prinz, verknallt sich in bürgerliche, junge Unschuld Emilia Galotti, versetzt bisherige Geliebte, Gräfin Orsina. Böser Kammerherr Marinelli läßt Bräutigam der Unschuld, Graf Appiani, um-und Emilia und Mutter ins Lustschloß Dosalo bringen. Die Unschuld läßt sich von ihrem Vater Odoardo erdolchen, um nicht der Verführung durch den Prinzen zu erliegen. Emilia: „Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen? Was Gewalt heißt, ist nichts: Verführung ist die wahre Gewalt.„

Der Tod der bürgerlichen Jungfrau auf dem Schuldkonto des überfälligen Absolutfürstleins hat die Regisseurin Petra Dannenhöfer nicht interessiert, das „bürgerliche Trauerspiel als Wiedergeburt christlicher Schuldergebenheit aus dem Geist innerweltlicher Repression“ (Ivan Nagel) auch nicht. Was denn?

Die Bühnenbildnerin Sigrid Greil, langjährig eingespielt mit der Regisseurin und der Kostümbildnerin Barbara Löschenkohl, läßt in einer strengen, vage klassischen Architektur spielen. Außer in den Szenen im Hause der Galottis führen lauter offene Türen in ein leeres Zentrum. Da werden die Personen hereinkatapultiert, Der Prinz (Soeren Langfeld), dessen Liebe alles in Gang setzt, der im ersten Bild noch im Zen

trum herumexaltiert, will immer nicht herein in den Raum in der Mitte, muß doch, genau wie Emilia (Maria Scholz), wie ihr Vater (Wolfgang Pauls).

Sie bewegen sich alle wie die Katzen, kurz bevor sie aufeinander losfahren zu Kampf oder Liebe, der Prinz klebt wie gelähmt an der rechten Wand, Emilia steht als Salzsäule an der linken, dann gerät alles ins Fließen, auf dem Fußboden, - Regie, Regie! überdeutlich - sie erwischen sich fast, die Elektrizität ist im Publikum spürbar, auch wenn Soeren Langfelds Prinz oft was Schnöseliges hat, stiebt auseinander, etwas ist passiert, wahrscheinlich der Graf gekillt, sie werden sich nicht kriegen.

Es ist ein Bündel existentialisierter Liebesgeschichten, die sich hier in der Mitte des Labyrinths entladen, im Zentrum der Ratlosigkeit, in der Marinellis Planungen allesamt beginnen und enden: zwischen Prinz und Emilia, Emilia und ihrem Vater Eduardo, der seine Tochter dem Prinzen in einer ziemlich inzestuösen Erdolchung entzieht.

Ich habe meine Sitznachbarn beneidet, die, als sie sich auf der Bühne fast gekriegt hätten oder bei der Vater/Tochter Erdolchung, die völlig unobszön aber ziemlich schamlos sich vollzog, gelangweilt im Programmheft blätterten: love -Schmonzes, nein danke. Mich hat dagegen die ganze Inszenierung etwas ratlos zurückgelassen, natürlich ist es viel Gedöns, bloß weil sie sich

nicht kriegen. Anders gesprochen, viel Anstrengung ist nötig, all die äußerlichen Verhinderungen zu spielen und dennoch den Schrecken vor der Leidenschaft als zentralen Verhinderer durchscheinen zu lassen.

Etliches hat mir auch nicht gefallen, das Goldkügelchen, an dem der Prinz immer so schwerblütig und bedeutungsschwanger drehen muß, wie Marinelli an seiner Pillendose gegen den Streß; oder als Odoardo so kreatürlich-würgend zusamenbrach, daß ich um ein Haar zum Erste-Hilfe Leisten auf die Bühne gesprungen wäre; der Prinz des ersten Bildes, dem irgendjemand aufgetragen haben muß, sich zwischen verzögert und torpedobeschleunigt zu zerreißen und von dem ich einfach den Eindruck hatte, er fühlt sich nicht wohl.

Aber es gab eben auch den schönen Moment, wo die Emilia ausdrückt, wie das „Es“, das hinter ihr in der Kirchenbank gesessen und von Liebe gesprochen hat und das sich als der Prinz entpuppt, sie erregt und entsetzt hat, noch ehe sie ein Wort gesagt hat;

es gibt die wundervolle Verwandlung des sanften Grafen Appiani (Ullo von Peinen) in einen Kampfhahn, als Marinelli ihn nur recht beleidigt hatte, und einen durchwachsenen Marinelli (Andreas Grothgar), meist von völlig unangemessener Unverschämtheit, kein Parvenu, sondern ein Lümmel, manchmal aber von klirrend-fein-korrekten Aggression und wunderbar. Trotz aller Klarheit verwirrende Bilder. Freundlicher Beifall, einige Bravos für Wolfgang Pauls.

Uta Stolle