Männergewaltige Wahrheitssuche

■ Tumulte im Gericht: Frauen mußten draußen bleiben, als Urheberschaft einer feministischen Parole geklärt wurde

Am 30. Juni letzten Jahres soll erstens die 27-jährige Andrea W. zweitens „völlig grundlos“ Gehwegplatten vor der Bürgerschaft mit einer Farbe besprüht haben, die sich drittens „nicht wieder entfernen ließ“.

Erstens: Daß die Polizei mit Andrea W. tatsächlich die Sprüh-Autorin der Parole „Alle 5 Minuten wird in der BRD vergewaltigt - Alle 2 Minuten geht hier ein Vergewaltiger vorbei - Frauen schlagt zurück! “ erwischt hatte - daran hatte selbst Staatsanwalt Udo Stehmeier nach mehrstündiger Beweisaufnahme handfeste Zweifel. Der Staatsanwalt plädierte für Freispruch.

Daß es für die Parole zweitens nicht den geringsten Grund gab - auch damit vertrat Stehmeier im Gerichtssaal die Auffassung einer marginalen männlichen Minderheit. 60 bis 70 Frauen in den Zuschauerinnenreihen waren da ganz anderer Meinung: Am 30. 6. 1989 waren auf Zypern zwei Berliner Frauen wegen Totschlags verurteilt worden, die in Notwehr einen Vergewaltiger getötet hatten. Nicht nur in Bremen hatten Frauen damals gegen das frauenfeindliche Urteil demonstriert.

Daß die Farbe drittens nicht wieder zu entfernen gewesen sei, widerlegt ein zeitgenössischer Blick aufs Marktplatz -Pflaster. Schon ein paar Tage nach der Sprühaktion hatten beamtete Straßenreiniger Bremens gute Stube bis auf ein paar rotblasse Spuren wieder blankgeputzt. Die letzten Erinnerungsreste an alltägliche Männergewalt erledig

ten zwischenzeitlich Schuhsohlen und Bremer Schmuddelwetter.

Für einen kräftige Auffrischung sorgte gestern unfreiwillig Richter Ulrich Hoffmann. Schon zu Beginn der Verhandlung versuchte Hoffmann, die Zuschauerinnenzahlen auf die Zahl der vorhandenen Sitzgelegenheiten zu beschränken. „Ich fange nicht eher an, bis alle einen Sitzplatz gefunden haben“, verkündete Hoffmann zweideutig in Richtung Zuschauerinnenrampe. Unbeabsichtigter Erfolg: 70 Frauen fanden auf 43 Stühlen Platz und verfolgten unter in Inkaufnahme eigener Unbequemlichkeit die Aussagen von drei Polizeizeugen.

Was durch die Beamten zweifelsfrei zu erfahren war, war folgendes: Am 30. Juni Juni 89 war auf dem Marktplatz eine Parole zu lesen. Was? „Kann ich mich nicht

erinnern“. Farbe? „Weiß ich nicht mehr.“ Ist die Angeklagte beim Sprühen beobachtet worden? „Nein.“ Warum sind dann ausgerechnet ihre Personalien aufgenommen worden? „Weil sie sich gerade aus gebückter Haltung aufrichtete.“ Sind Farbspuren an ihren Händen gewesen? „Nein.“

Unter 15-köpfigem uniformierten Saalschutz verkündete Hoffmann schließlich seinen Freispruch und gab der freigesprochenen Andrea W. abschließend zu bedenken: „Wenn Sie es am Ende doch waren - lassen Sie solche Aktionen künftig!“ Als Hoffmann wenig später nach getaner Urteilsarbeit das Gebäude verließ, konnte er auf dem Pflaster vor dem Gericht in großen roten Lettern lesen: „Männergewalt gegen Frauen auch vor Gericht“.

K.S.