REVOLUTIONÄRE ZUM ABLICHTEN

■ Die NGBK-Ausstellung „Revolution und Fotografie: Berlin 1918/19“ in der Akademie-Galerie in Ost-Berlin

Vom Alexanderplatz her geht man auf „Unter den Linden“ zu, läßt aber den Palast der Republik rechts neben sich liegen und befindet sich so direkt neben dem Marstall. Schaut man dann nicht auf den Marx-Engels-Platz zu seinem sperrangelweit offenem Parkplatzgelände nach rechts hin (so nebenbei: wenn man bedenkt daß der Marx&Engels-Platz zur Hälfte ein Parkplatz ist, kann schon eine Ahnung aufkommen, warum hier der Sozialismus schief gehen mußte (genau. der ganze platz müßte ein parkplatz sein. sezza)), sondern dreht sich nach links, dann steht man vor einer großen Plakatwand: 'Autonome‘ steht groß links oben auf dem Plakat (Autonome? In der DDR?), zu sehen sind Revolutionäre von 1918/19, die auf einem offenen Lastwagen anscheinend zum bewaffneten Kampf fahren. Den ganzen Sinn des Plakats werden wohl nur Westler erdenken, und richtig, das Plakat hing auch zuerst auf einem U-Bahnhof in West-Berlin und warb für eine von der NGBK konzipierte Ausstellung „Revolution und Fotografie 1918/19“, die jetzt in den Hauptstadtteil der Stadt gewandert ist. Und zwar in die Akademie-Galerie, die im Marstall untergebracht ist - ein symbolischer Ort für diese Ausstellung, im Marstall saß die Volksmarinedivision, die Armee der Revolution in Verteidigung gegen die Freichorps.

Neben der Tiefensymbolik des Ortes liegt jetzt zudem eine der Zeit vor, auch wenn niemand weiß, ob 1989 in der DDR eine Revolution stattgefunden hat oder nicht. Kommt die Macht immer aus den Gewehrläufen? Hätte die Stasi-Zentrale brennen müssen? Wie ist das, wenn sich eine Gesellschaft zu einem wie auch immer umschriebenen freien Markt emanzipiert? Allerdings war es schon v.d.W. (vor der Wende (da fällt mir ein: wg. v.d.W. sezza)) abgemacht, daß hier „Revolution und Fotografie 1918/19“ zu sehen sein wird. Im Gästebuch steht neben „very interesting“ klein und krakelig: Bildet Arbeiter- und Soldatenräte, auf der gegenüberliegenden Seite schimpft einer: Die Ausstellung sollten sich die ansehen, die sich heute Revolutionäre nennen. Wann ist eine Revolution eine Revolution, und: Ist die von 1918/19 Vorbild oder Abziehbild jeder Veränderung?

Revolution und Fotografie ist ein außerordentlich vielschichtiges Thema und beginnt 1871, mit der Pariser Commune. Als diese noch siegreich erschien, holten sich Kommunarden Fotografen aus deren Ateliers, wo diese hauptsächlich kleinbürgerliches Publikum bedienten mit Porträts und Familienfotos in gestellter Atmosphäre (Kolonialwarenhändler neben Topfpalme und ausgestopfte Löwen auf Zebrafell u.ä.). Diese Fotografen mußten die Kommunarden auf den Barrikaden fotografieren. Genau diese Fotos dienten der Polizei und der Armee nach der Niederschlagung der Commune zur Fahndung. Fünfzig Jahre später, 1918/19, waren die Bedingungen andere. Die Technik war ausgereifter: Kameras waren leicht zu transportieren, die Belichtungszeiten kürzer, so daß Bewegungsaufnahmen gemacht werden konnten u.a.m. Die Fotografen hatten von sich aus die Ateliers verlassen und fingen das Leben auf der Straße ein. Es gab Pressefotografen, die in Illustrierten veröffentlichten. Auch die Polizei handelte nicht mehr aufgrund von Zufallsfunden, sondern hatte die Fotografie in ihre Arbeit eingebaut und Archive voll mit Fahndungsfotos dieser Aspekt der Fotografie veranlaßte in München Revolutionäre, das fotografische Atelier der Polizeidirektion zu zerstören.

Die Ausstellung behandelt allerdings weniger die Veränderungen des Mediums Fotografie (das macht der Katalog glänzend), zu sehen sind: Fotos von der Revolution. Mehr behauptet die Ausstellung auch nicht zu sein, fügt nur an: „Noch nie hat in der BRD oder West-Berlin eine große und gründliche Ausstellung über die Revolution von 1918/19 stattgefunden. Dafür wird aber jede zu findende Herrscherdynastie groß herausgebracht.“ Jetzt nichts Falsches denken: Das ist keine Polemik der DDR, der Text wurde in West-Berlin geschrieben.

Die Fotos, die zu sehen sind, sind auf den ersten Blick fast „neutral“ - so dies überhaupt machbar ist. Revolutionäre wurden nicht anders fotografiert als das Freichorps, inhaltliche Wertungen in den Fotos sind kaum auszumachen. Dieser Blick der Fotografen ist einer zwischen den Fronten und erklärt sich, wenn man danach fragt, wer fotografiert hat. Fotografiert haben - so Diethart Krebs im Katalog über die Fotografen der Revolution - durchweg Pressefotografen: „Zunächst ist festzuhalten, daß die Geschichte der Revolutionsfotografie mit der Geschichte der Pressefotografie identisch ist, jedenfalls was die Jahre 1918/19 in Berlin anbetrifft.“ Die Fotografen arbeiteten oft selbständig, in Familienbetrieben oder angestellt in kleinen Fotoagenturen. Abnehmer der Fotos waren Illustrierte, die meist wöchentlich erschienen, Tageszeitungen arbeiteten noch nicht mit Fotos. Die Neutralität der Fotos war wohl auch vonnöten, um die verschiedenen politischen Ausrichtungen der Illustrierten beliefern zu können - das politische Spektrum beschränkte sich allerdings auf bürgerlich-liberal bis konservativ, eine Arbeiterillustrierte gab es erst nach der Revolution, zu einer Zeit, in der dann auch die Fotografie als Waffe eingesetzt wurde.

Dadurch, daß den Fotos selbst keine inhaltliche Wertung anhaftete, waren sie auch offen für die verschiedensten Interpretationen. Tatsächlich ist es kein Einzelfall, daß ein und dasselbe Foto durch eine Bildunterschrift in einen sich ausschließenden Zusammenhang gebracht wurde. Durch Bildunterschriften wurden dann aus Revolutionären Helden der Arbeiterklasse oder Feinde des deutschen Volkes. Die Bildunterschriften waren es im Regelfall, die den Fotos eine Tendenz gaben, und diese wurden von den Redakteuren der Illustrierten verfaßt, nicht von den Fotografen selbst.

Die Pressefotografie war 1918/19 freilich ein anderes Geschäft als heute. Zitat aus dem Katalog: „Auch heute schleppt der Pressefotograf viel mit sich herum. Steckt er sich ein paar Filme in die Tasche, hat er Material für mehr als hundert Aufnahmen. Der Pressefotograf vor 70 Jahren nahm höchstens zwölf Platten mit, aber das waren schon zerbrechliche drei Kilo, mehr als das Gewicht der Kamera.“ Der Fotograf mußte daher mit dem Aufnahmematerial haushalten, jede Platte war wichtig und darum jedes Foto sorgfältig zu machen. Neben der Kamera und den schweren Platten nahm der Fotograf noch mit ein zusammenklappbares Holzstativ, manchmal auch eine kleine Leiter - sie diente dazu, über eine Menschenmenge hinweg zu fotografieren und erklärt die Fotos, die knapp über den Hüten von Demonstrationsteilnehmern gemacht worden sind. Vor allem aber mußten die Fotografen damals ein sehr viel größeres handwerkliches Geschick haben, als es heute nötig ist: „Mit der heutigen Kamera ist ein Traum verwirklicht: der Benutzer visiert und drückt los; Einstellungen kümmern ihn nicht mehr... Der Fotograf damals mußte alle Vorgänge in seinem Kopf kontrollieren und mit dem Geschick seiner Hände ausführen.“

Die Ausstellung ist hauptsächlich bestückt mit Abzügen von erhalten gebliebenen Originalglasplatten im Format 13 mal 18 Zentimeter. Mit nicht weiter vergrößerten, auch nicht erläuterten und nur dem Jahr zugeordneten Fotos beginnt die Ausstellung als ein Einstieg in die Fotowelt der Revolution und ihre Sujets. Das sind Massendemonstrationen, aus denen manchmal, auf einem Autodach stehend, ein Redner herausragt; Einzelgruppen von Revolutionären (nicht RevolutionärInnen: Auch in der KPD kocht die Proletarierfrau - siehe dazu: Michael Rohrwasser,Starke Mädels, saubere Genossen, Verlag Roter Stern; daß nur zwei revolutionäre Männer im Blickpunkt der Pressefotografen stehen, beweist auch, daß von Roas Luxemburg kein Foto aus der Revolutionszeit existiert) und Freichorps in Kampfstellung, Bilder einer durchkämpften und bald zerstörten Innenstadt, zum Ende der Revolution: Traueraufzüge, Särge, Tote. Der Großteil der Fotos aber sind Vergrößerungen, einzeln angebracht auf länglichen, schräg an die Wand gestellten weißen Tafeln, unter den Fotos Erläuterungen. Darüber hinaus wenig: zwei damals gebräuchliche Kameras in einer Vitrine, Illustrierte, in denen die Fotos veröffentlicht wurden, Zeitungsausschnitte, Gerichtsprotokolle, Briefe und Ordner mit Dokumenten zu Personen, die auf den Fotos zu sehen sind.

Zusammengestellt sind Fotos, Texte und anderes Material zu Themenkomplexen, etwa zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Neben der Aufnahme vom zugerichteten Körper Karl Liebknechts ein Bild aus dem Hotel Eden, wo sich die Mörder zum Gruppenfoto aufgestellt haben. Ihre Gesichter wirken wie ein Querschnitt aus der Welt des beschränkten Horizonts mit unbeschränkten Enthusiasmus zum Totschlag. Das sind die Beteiligten einer Tat, deren Nutzbarmachung zum Heldentum in jener Entfernung liegt, deren Kilometer mit Stolz überbrückt werden. Stolz darauf: „Da kam Frau Luxemburg. Da hat Runge mit dem Kolben auf sie eingeschlagen. Beim ersten Schlag fiel Frau Luxemburg. Und dann wurde sie ins Auto hereingezogen. Und dann fuhr das Auto ab. Da kam einer hinterher und hat draufgeschlagen, ins Gesicht.“ „Da sprang beim Abfahren noch einer hinten auf und schoß Frau Luxemburg eine Kugel in den Kopf, was ich genau in der kurzen Entfernung sehen konnte. Er sprang dann ab und ging von der Nürnberger Straße ins Eden-Hotel zurück.“ Befehlshaber dieser Gruppe war Stabschef Waldemar Pabst, unbelangt gestorben 1970 in der Bundesrepublik. Pabst gab dem 'Spiegel‘ 1962 noch ein Interview: „Ich ließ Rosa Luxemburg richten.“ Pabst wie andere wurden von der SPD gerufen, den Kommunismus zu exorzieren; die Gespenster, die sie dazu gerufen hatten, wurden sie allerdings nicht mehr los.

Volker Heise

„Revolution und Fotografie: Berlin 1918/19“ in der Akademie -Galerie, Marx-Engels-Platz (Marstall), Ost-Berlin, bis 11. Februar, Mi-So 10 bis 18 Uhr. Telefon 0372/238 3311