Zuerst Sachse, und dann Weltbürger?

■ Vincent von Wroblewsky ist im jüdischen Kulturverein in Ost-Berlin aktiv und Mitinitiator zur Gründung eines jüdischen Kulturvereins der DDR / Der neuerdings propagierte Antifaschismus gehört für ihn nicht in den Wahlkampf

taz: Was sind die Ziele Ihres Vereins?

Wroblewsky: : Er will unabhängig von parteipolitischen und weltanschaulichen Ansichten jüdischen Mitbürgern und ihre Angehörigen die Möglichkeit schaffen, sich mit jüdischer Geschichte und Kultur zu befassen. Es gibt hier bedingt durch die Geschichte der DDR große Defizite. Wir fangen allerdings nicht bei Null an, sondern sind eine Fortsetzung der Gruppe „Wir für uns“, die bisher unter dem Dach der jüdischen Gemeinde arbeitete. Aus mehreren Gründen gibt es hier viele jüdische Bürger, die nicht religiös sind und aus politischen Gründen emigriert waren und in die DDR zurückgekommen sind. Die Unterscheidung zwischen den religiösen Juden, die in den Gemeinden organisiert sind, und uns spielt also durchaus eine Rolle.

Das Bekenntnis zur deutschen Einheit gehört mittlerweile zum Programm einiger Parteien, der Ruf auf der Straße wird ebenfalls nicht leiser. Wie beurteilen Sie das?

Auf der einen Seite denke ich, daß ein historischer Prozeß in Gang gekommen ist, den man nicht aufhalten kann - auch wenn er besorgniserregende Züge hat. Ich wünschte mir, daß die wirklichen Bedürfnisse der Mehrheit der Menschen hier zum Ausdruck kommen, die meiner Ansicht nach nicht in einer überstürzten Vereinigung zu verwirklichen sind, aber es ist schwer, das zu sehen.

Ich glaube die wirklichen Bedürfnisse sind zum einen die Entwicklung einer eigenen Identität. Bei meinen Erfahrungen in diesem Land ist die Identität der meisten eher regional als national. Viele empfinden sich in erster Linie als Thüringer, Sachsen oder Berliner, und hatten gar nicht die Möglichkeit, anders zu empfinden, weil ihnen die Welt weitgehen verschlossen war. Ich wünschte mir, daß der nächste Schritt ist, sich zusätzlich als Europäer und Weltbürger zu empfinden - und sich nicht auf diese eigenartige Zwischenstufe eines Deutschen mit der Betonung auf dem Deutschsein festzulegen - so wie in dem erschreckenden Aufruf der LDPD, die zum „Deutschfühlen“ aufgerufen hat. Das sind dann schon beängstigende Züge. Aber das Recht auf Selbstbestimmung und Identität gilt für jedes Volk, und sie gilt auch für das deutsche Volk - aber auf eine Weise, die nicht zur Bedrohung anderer werden darf.

Das Thema Rechtsradikalismus ist zur Zeit aus verschiedenen Gründen in den Schlagzeilen der DDR-Medien. Sehen sie Rechtsradikalismus als objektiv wachsende Erscheinung oder als Medienereignis?

Beides - und ich stehe diesem Problem mit sehr gemischten Gefühlen gegenüber. Auf der einen Seite lehrt die deutsche Geschichte, daß man eine rechte Gefahr nicht unterschätzen sollte; auf der anderen Seite gibt es erkennbare Züge einer Instrumentalisierung dieser Gefahr mit parteipolitischen Absichten. Ich denke da an Treptow am 3.Januar, wo ich tief erschrocken war über die Art, wie manche dieses Thema benutzen. Dafür ist es nun wirklich zu ernst.

Der Antifaschismus und Demokratismus war eine sehr schnell verspielte Chance in der Nachkriegsgeschichte in diesem Teil Deutschlands. Zunächst gab es ja in der DDR eine antifaschistisch-demokratische Ordnung und auch ein solches Selbstverständnis. In gewissem Sinne sind wir auf diesen Punkt zurückgeworfen, und diese Chance sollte auf keinen Fall noch einmal verspielt werden. Antifaschismus gehört nicht in den Wahlkampf.

Befürchten Sie einen zunehmend offenen Antisemitismus?

Entsprechenden Angriffen war ja bereits der neue SED -Vorsitzende Gregor Gysi ausgesetzt - zum Beispiel auf Demos in Leipzig, wo es Sprechchöre „Gysi ist kein Deutscher“ gab. Es ist offenbar unvermeidlich, daß so etwas zusammengerückt wird, und es ist unser aller Verantwortung, daß das nicht passiert. Ich muß allerdings sagen, daß ich auch erschrocken war, als ich das Titelbild des letzten 'Spiegel‘ gesehen habe. Diese Art, Gysis Foto zu präsentieren mit der Unterschrift „Der Drahtzieher“ hat mich erschreckt. Ich hatte Assoziationen mit Darstellungen, die ich aus der Zeit vor '45 kannte. Freunde sagten, ich ginge da wohl etwas zu weit, aber eine gewisse Perfidie ist unübersehbar. Da haben offensichtlich partei- oder medienpolitische Absichten eine Rolle gespielt, die nicht gutzuheißen sind.

Interview: Andrea Böhm