Haussmann: Soziale Markwirtschaft als dritter Weg

■ Kabinett berät Jahreswirtschaftsbericht und Sondergutachten zur DDR / Reformversuche des Sozialismus Leichenschändung

Berlin (taz/dpa) - Größer könnte der Kontrast nicht sein: Während die DDR um ihr ökonomisches Überleben kämpft, kann sich die Bundesregierung über günstige Wachstumsprognosen für das Jahr 1990 freuen. Der gestern im Kabinett beratene Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert für das laufende Jahr ein Wachstum des Bruttosozialprodukts von mindestens drei Prozent: Dank der dritten Stufe der Steuerreform werde die Kaufkraft der Bevölkerung um etwa 60 Milliarden DM zunehmen. Trotzdem wird nicht damit gerechnet, daß die Arbeitslosenzahlen sinken. Im Gegenteil: Sollte die Annahme der wirtschaftspolitischen Experten der Bundesregierung, wonach der Zuwandererstrom aus der DDR und Osteuropa in diesem Jahr „deutlich geringer“ ausfällt, nicht zutreffen, dann dürften die Arbeitslosenzahlen trotz bester Konjunktur weiter zunehmen.

Angesichts des bundesdeutschen Wachstumserfolges erstaunt es nicht, wenn Bundeswirtschaftsminister Haussmann jeglichen Reformversuch des Sozialismus als „Akt der Leichenschändung“ erklärt und keinerlei Alternative zur Einführung der sozialen Marktwirtschaft in der DDR sieht. Argumentative Schützenhilfe erhielt der FDP-Minister durch ein Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, das ebenfalls gestern vorgestellt wurde. Die in diesem Gremium versammelten marktliberalen Hardliner haben sich nicht gescheut, einen konkreten Maßnahmenkatalog zur Rückführung der sozialistischen Planwirtschaft in das Reich des kapitalistischen Marktes auszuformulieren. In bester marktorthodoxer Manier wird der DDR nahegelegt, die Privatisierung der „Volkseigenen Betriebe“, die Freigabe der Preise, die Abschöpfung des Geldüberhangs und die Duldung von zumindest vorübergehender Arbeitslosigkeit zuzulassen. Der einzige bekannte und bewährte Mechanismus zur Bestimmung von Preisen sei der Markt. Ferner müßten die bisherigen Subventionen abgebaut werden. Dies könne durch Anhebung von Löhnen und Renten ausgeglichen werden. Als vordringlich wird weiter eine Eigentumsreform, die Einführung von Gewerbefreiheit, eine Reform der Notenbank und der Finanzverfassung sowie der Ausbau des Systems der sozialen Sicherung bezeichnet. Die marktwirtschaftswilligen Kräfte in der DDR werden diese Botschaft mit Freude vernehmen.

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