Linksradikal contra deutschnational

■ Am Wochenende fand in Köln das erste öffentliche Treffen der „Radikalen Linken“ statt

Rund 200 TeilnehmerInnen waren der Einladung nach Köln gefolgt - zum ersten öffentlichen Treffen der „Radikalen Linken“, ein Bündnis, das im April 1989 als spektrenübergreifender Kontrapunkt zur rot-grünen Anpassung entstanden war. Mittlerweile haben sich die politischen Koordinaten unter dem Eindruck der Veränderungen in Osteuropa geändert: Nicht mehr der Ökokapitalismus, sondern der deutsche Nationalismus steht auf der Tagesordnung.

An den 4. August 1914 wird an diesem Wochenende im Bürgerzentrum Köln-Ehrenfeld gleich mehrmals erinnert. Nicht weil die SPD an diesem Tag den Krediten für den Ersten Weltkrieg zugestimmt hatte, sondern weil damals, im nationalen Taumel, „eine Rosa Luxemburg maulfaul in der Ecke saß und ihr nichts einfiel“. So formuliert es der Marburger Politologieprofessor Georg Fülberth, laut Eigendefinition eine „selbständige politische Einheit in der DKP“ und einer der Initiatoren des Bündnisses „Radikale Linke“. Fülberth fügt hinzu: „Aus der Lähmung des 4. August sind wir nicht herausgekommen.“

Die „Radikale Linke“, als spektrenübergreifender Zusammenschluß gegen rot-grüne Anpassung entstanden, muß sich auf ihrem ersten öffentlichen Treffen an diesen zwei Tagen neu orientieren. „Unsere Kontroversen von gestern sind von der Geschichte überholt worden“, sagt der Journalist Detlev zum Winkel - „seitdem sich die Grünen am Absingen der Nationalhymne beteiligen.“ Aber was sind radikal linke Positionen, wenn zuvorderst nicht mehr die Versuchung eines soft-gestylten Ökokapitalismus auf der Tagesordnung steht, sondern die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, die Herausforderung eines „Vierten Reichs“, das „größte anzunehmende politische Unglück“?

Strikt bundesdeutsch agieren oder doch ein bißchen deutsch -deutsch, so lautet die Alternative. Soll man auf die Zusammenarbeit mit Wiedervereinigungsgegnern in der DDR setzen, so wenige diese auch sein mögen, und sich quasi „internationalistisch einmischen“, wie der Trotzkist Winfried Wolf fordert? Er hat ein alternatives Verkehrskonzept für die DDR entworfen. Und Siggi Frieß, grüne Bundestagsabgeordnete, stellt in Köln ein Programm für ein deutsch-deutsches Linken-Treffen vor; denn der Begriff „Deutsche Linke“, mit dem Linkssozialdemokraten und grünes „Linkes Forum“ bereits zu einem Kongreß einladen, dürfe doch diesen Rosa-Grünen nicht kampflos überlassen werden.

Dorothee Piermont, der grünen Europaabgeordneten, ist diese „linke Unterfütterung deutsch-deutscher Gemeinsamkeit äußerst suspekt“: „Den Kampf haben wir hier gegen die Bundesregierung zu führen, nicht stellvertretend in der DDR.“ Thomas Ebermann, prominentester der zahlreichen Noch -Grünen in diesem Kreis, erteilt dem Schielen nach einer links-deutschen Realpolitik die radikalste Absage: „Die Kraft unseres gesellschaftlichen Lagers kann nicht ausreichen, die Pläne des deutschen Imperialismus in irgendeiner Weise zu behindern oder zu verzögern.“ Man müsse den nationalistischen Vormarsch im eigenen Land geißeln, aber hinsichtlich der Verhältnisse in der DDR sei nur „revolutionärer Defätismus“ am Platze, nicht die Suche „nach einem kleineren Übel“. Statt nun noch die „alternative deutsch-deutsche Besoffenheit“ zu fördern, so plädiert auch ein anderer Hamburger Teilnehmer, müsse die Zusammenarbeit mit Kräften aus jenen europäischen Ländern gesucht werden, die unter der faschistischen Okkupation gelitten haben.

Im Hin und Her der Optionen setzt sich in Köln schließlich diese Linie durch. Der Anspruch, „Kraft der Negation“ zu sein, wie ihn die „Radikale Linke“ bei ihrer Entstehung formuliert hatte, soll sich nun in einer kompromißlosen Verneinung von jeglichem Patriotismus niederschlagen. Nie wieder Deutschland ist der Titel einer Erklärung, die an diesem Wochenende zustande kommt - wegen der politischen Differenzen in einer mühseligen Prozedur. Der Tenor: auf der Zweistaatlichkeit beharren, die Hegemoniepläne des bundesdeutschen Imperialismus angreifen und dieser historisch belasteten Nation ihr berüchtigtes Selbstbestimmungsrecht absprechen.

Auf dieser Grundlage werden nun Bündnispartner für eine bundesweite Demonstration gegen die Wiedervereinigung gesucht: Sie soll „möglichst bald“, vermutlich im April, in der Hochburg des bundesdeutschen Kapitals, Frankfurt, stattfinden.

Noch ein weiteres Projekt wird in Köln beschlossen: Die Europaabgeordnete Dorothee Piermont will die Initiative für ein „Europäisches Komitee gegen Wiedervereinigung“ ergreifen. Persönlichkeiten und Bewegungen im Ausland sollen dadurch ermuntert werden, sich gegen großdeutsche Pläne zu wenden.

Charlotte Wiedemann