Ist bessere Kunst weiblich?

■ Unsinn! Das wahre Kunstwerk ist männlich-weiblich oder gar nicht

Zum Auftakt der 14. Bremer Literarischen Woche erteilte Gerd Sautermeister allen feministischen Hoffnungen, zu denen das Thema Anlaß gegeben haben mag, eine deutliche Absage. „Gibt es eine weibliche Ästhetik?“ - Selbstverständlich, aber sie ist von derselben Crux geschlagen wie die männliche: sie mißglückt. „Kunstgebilde der echten Art sind nicht geschlechtsspezifisch.“ Die starre Rollenzuschreibung hindere Frauen wie Männer, selbstbestimmt zu leben. Dagegen habe das Kunstwerk zu opponieren. Wahrzeichen authentischer Kunst sei, daß sie einen utopischen Mehrwert besitze gegenüber dem historisch fixierten Geschlechtsverhältnis. Unvermeidlich, hier nicht auf Schillers Gedicht „Würde der Frauen“ zu sprechen zu kommen, abschreckendes Beispiel des patriarchalen Rollenkonzepts. Zwar beschreibe Schiller die häßlichen Züge des Mannes, der sich im feindlichen Leben bewähren, zum Jäger und Krieger werden muß, aber in Haus und Hütte, wo die Frau züchtig als Seelenärztin waltet, könne er wieder Mensch werden. Die Frau taugt allemal zum Korrektiv des Mannes, aber am Geschlechterverhältnis wird nicht gerüttelt - ein klassisches Beispiel „männlicher Ästhetik“.

Auf seinen Streifzügen durch zwei Jahrhunderte Literatur fand Sautermeister indessen zahlreiche Beispiele für das unbewußte Verlangen nach der Versöhnung mit dem Gegenpol: Bei Goethe und Eichendorff, Heine, Keller und Droste -Hülshoff, bei Bachmann, Christa Wolf und Hein liest man von der Sehnsucht, die Geschlechterrollen aufzuheben. Ihre männlichen und weibliche Helden erleben sich als Bruchstücke einer verlorenen Einheit und irren auf der Suche nach der

anderen Hälfte umher. Nicht anders ergeht es Tomas, dem Helden von Kunderas „Unerträglicher Leichtigkeit des Seins“, dem erst ein erotischer Traum verraten muß, daß seine „rastlose Jagd durch die weibliche Hemisphäre nur die vergebliche Suche nach einer Unbekannten war, dieser vollkommenen Ergänzung seines fragmentarischen Wesens.“ Sein Begehren ist so alt wie der Mythos von den Menschen, die einst Hermaphroditen waren, bevor Gott sie in zwei Hälften spaltete. Männer, zumal in den vergangenen Jahrhunderten, konnten von dieser Gespaltenheit leichter erzählen und hatten weniger Widerstände zu überwinden, ihren Wunsch nach dem Anderen ästhetisch zu realisieren.

Gert Sautermeister verdeutlichte dies in der Gegenüberstellung eines „männlichen“ und eines „weiblichen“ Gedichts: In Friderike Bruhns „Ich denke Dein“ verharrt die Frau im vergeblichen Warten auf den fernen Geliebten und verzehrt sich in Sehnsucht. Sie erklärt sich mit der klassischen Frauenrolle einverstanden. Gelungene Ästhetik aber sei nonkonform, wie Goethes Neuschöpfung „Nähe des Geliebten“ zeige. Von einer Vertonung der Verse inspiriert, entschloß Goethe sich zur Umarbeitung. In seiner Version bleibt das Warten nicht vergeblich: „Ich bin bei Dir / Und seist Du noch so ferne.“ Sich in die weibliche Perspektive einfühlend, überwindet Goethe die hergebrachten Rollenschranken; darin zeigte sich die „geschlechtsübergreifende Assimilationskraft des Schreibenden.“

So vorsichtig hatte Gert Sautermeister seine Gegenrede auf die feministische Annahme eines weiblichen und damit besseren Schreibens formuliert, daß er am Ende seines 90minütigen Vor

trags seine Ausführungen noch einmal auf den Punkt bringen mußte: „Dem wahren Kunstwerk will ich den Geschlechtscharakter absprechen.“ Weil aber der Redner an lobenden Worten für die Schriftstellerinnen Droste-Hülshoff, Fanny Lewald oder Frederike Bruhn nicht sparte, war ihm der wohlwollende Applaus auch der frauenbewegten ZuhörerInnen gewiß. Kerstin Thust / Christian Bommer