Was wird jetzt aus den West-Reichsbahnern?

■ Perestroika ja - aber kostenneutral? / Westberliner Reichsbahner jetzt im Kampf um zum Teil zehn Jahre alte Mitbestimmungsforderungen

Die Wunden sind nach wie vor tief. „Damals“ habe sich der vorgeblich sozialistische Verkehrsbetrieb schlicht als „staatsmonopolistischer Kapitalist“ betätigt, rekapituliert der Westberliner Reichsbahner Peter Lind. „Damals“ - das war 1980. Knall auf Fall wurden seinerzeit wegen des zu hohen Verwaltungsaufwandes, 80 Leute in zwei Bahnausbesserungswerken im westlichen Teil der Halbstadt gekündigt. Die spektakuläre Folge: Ein wochenlanger, wilder Streik. Doch die östlichen Reichsbahndienstherren blieben hart und griffen gar zum schärfsten kapitalistischen Druckmittel: Nur weil sie Solidarität geübt hatten, verloren etwa 500 Bahnkollegen ihren Arbeitsplatz. Und die zuständige FDGB-Gewerkschaft schwieg.

So etwas soll nie wieder vorkommen. „Die Gewerkschaft darf nie wieder zum Erfüllungsgehilfen der Betriebsführung degradiert werden“, heißt es in einem ellenlangen Forderungskatalog, den Lind in seiner heutigen Eigenschaft als Vorsitzender der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) der Charlottenburger Unterhaltungsdienststelle der Deutschen Reichsbahn (DR) für Bahnanlagen im Dezember an den FDBG und den neuen Reichsbahngeneraldirektor Keddi schickte. Lind verlangte im Namen der rund 2.200 Westberliner Reichsbahnbeschäftigten die volle Durchsetzung des „Mitbestimmungsrechts des FDGB“ und - logischerweise - das Streikrecht. Die meisten der Punkte seien teilweise schon vor zehn Jahren vorgetragen worden.

Schon bevor die DDR-Wende richtig in Gang gekommen sei, hätten die Kollegen „deutlicher als zuvor begonnen, ihre Probleme auf den Tisch zu legen“, erläuterte der BGL -Vorsitzende. Das erste Zeichen des Klimawechsels: „Den Orden ‘Aktivist der sozialistischen Arbeit gibt es nicht mehr, den haben wir bereits am 7. Oktober abgeschafft.“ Inzwischen seien Schritte zur Realisierung eines Hauptanliegens eingeleitet: Es wird eine eigenständige Gewerkschaftsleitung für West-Berlin mit eigener Tarifautonomie geben, die nur aus Westberliner Mitgliedern besteht und von der Basis gewählt ist. Diese Leitung soll unmittelbar dem Zentralvorstand einer künftigen IG Eisenbahn nachgeordnet sein. Dagegen bereiten alle Forderungen nach einer leistungsgerechten Entlohnung, die Geld und Valuta kosten, der DR „erhebliche Bauchschmerzen“, so Lind. Der Gewerkschafter: „Da liegen überhaupt keine konkreten Angebote auf dem Tisch.“

Andere Forderungen wollen die Reichsbahner morgen auf einer Kundgebung um 16.15 Uhr auf dem, Schöneberger Wartburgplatz direkt an die Finanzbehörde Senator Meisners und andere Westberliner Institutionen richten. Der Senator soll erstmals präzise Auskunft über die von der Verwaltung des ehemaligen Reichsbahnvermögens in West-Berlin (VdeR) gemanagten Konten und Grundstückswerte geben. Im Interesse einer umweltgerechten Verkehrspolitik dürfen die vorhandenen Mittel - geschätzt drei Milliarden Mark - künftig ausschließlich für den Ausbau des Reise- und Güterzugverkehrs verwendet werden. Weiteres Thema der Kundgebung: Die Sicherung der Rentenansprüche der hiesigen Reichsbahner und eine Debatte über die Anerkennung der Reichsbahn-Facharbeiterabschlüsse.

thok