Feminismus oder Ökologie-betr.: "Das ewige Jammern lähmt und schreckt ab", "Männerbund mit Frauenquote", taz vom 15.1.90

betr.: „Das ewige Jammern lähmt und schreckt ab“ von Claudia Pinl, „Männerbund mit Frauenquote“ von Regina Michalik,

taz vom 15.1.90

Die grüne Bewegung geht davon aus, daß die Frage des Überlebens und des Widerstandes gegen zerstörerische Techniken vorrangig ist vor allen anderen Fragen, und daß alle Probleme nur in diesem Zusammenhang zu sehen und zu lösen sind. In diesem Kontext bewerte ich auch den Feminismus bei den Grünen.

Der Feminismus, wie er sich heute in den hochindustrialisierten, reichen Ländern darstellt (BRD, USA) ist ein Produkt der herrschenden, lebenszerstörenden Wirtschaftsform. Deren aberwitziger Energie-, Rohstoff- und Umweltverbrauch ermöglicht die fast völlige Befreiung der Menschen dieser Länder von körperlichen Anstrengungen und Unbequemlichkeiten. Zum Beispiel befreit die hochtechnisierte Medizin (Antibiotika) von der Anstrengung aufopfernder häuslicher Pflege über Wochen und Monate, die Pille, Produkt der Chemieindustrie macht auf bequeme Weise Familienplanung möglich, Maschineneinsatz und Chemie erleichtern jede Arbeit. Lebensmittel werden industriell produziert, haltbar gemacht und zur/m VerbraucherIn transportiert, der/die die Speisen in wenigen Minuten zubereiten kann. All die zeitraubende Arbeit, die vor der Erdölschwemme, noch zur Zeit meiner Eltern, dezentral in den einzelnen Haushalten und viel umweltverträglicher geleistet wurde, wie das Wäschewaschen mit Hand und Seife oder die Zubereitung der Speisen aus den frischen Rohprodukten des heimischen Marktes, Herstellung und Pflege der Textilien, all diese Arbeit wird heute zentral in Fabriken und energieaufwendig und umweltbelastend erledigt. Diese Zentralisierung ist in fast allen Wirtschaftsbereichen seit langem abgeschlossen: Schwerindustrie, Textilindustrie, Chemieindustrie u.s.w.

Anders der Bereich Landwirtschaft. Dieser konnte wegen der unveränderbar niedrigen Energiedichte (Sonnenenergie auf Ackerflächen) lange nicht zentralisiert werden. Das gelang erst in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten mit Hilfe des billigen Energieangebots (Erdöl). Dadurch erst wurde der Einsatz von Chemikalien, Maschinenarbeit und Futtermittelimporten für die Landwirtschaft billig genug, was zur heutigen bodenunabhängigen, lebensfeindlichen Agrarindustrie geführt hat.

Der letzte und volkswirtschaftlich größte Bereich, der wegen seines immensen Arbeits- beziehungsweise Energiebedarfs lange nicht zentralisiert werden konnte, ist die Hauswirtschaft. Die Befreiung von der Arbeit für Familie und Haushalt beruht jedoch auf einem exorbitanten Energieeinsatz und wird für die Armen, die Dritte Welt und für die Menschen, die nach der Energieschwemme leben, niemals Wirklichkeit.

Deshalb greift der heutige Feminismus viel zu kurz, wenn er als ein Hauptziel einen Berufsarbeitsplatz für jede Frau fordert, gleichzeitig die dezentrale, umweltverträgliche Hausarbeit als lästige, unwürdige Sklaverei abqualifiziert und die ökologische Frage nicht mit einbezieht. Die Forderung nach Gleichverteilung der Haus- und Erwerbsarbeit auf Mann und Frau ist schließlich auch nur unter den heutigen Produktionsbedingungen realistisch. (...)

Wer jedoch fordert, daß in der Landwirtschaft wieder arbeitsintensiv und umweltverträglich gearbeitet wird, und diese Arbeit ihrem Wert entsprechend bezahlt sehen will, der macht sich unglaubwürdig, wenn er für den größten Wirtschaftszweig, die Hauswirtschaft, nicht ebenso die Aufwertung dieser Arbeit und eine angemessene Vergütung fordert. Die Pflege alter oder junger Menschen, die körperliche und seelische Zuwendung, das Bereiten der Speisen, Pflege des Hausrats, der Tiere oder des Gartens sind Aufgaben, die Können, Verantwortung und Einsatz fordern. Diese Arbeit ist andererseits selbstbestimmt und vermittelt ein hohes Maß an Befriedigung und würde bei entsprechender Entlohnung vielen anderen Berufen vorgezogen. (Die Regelung der Bezahlung ist ein anderes, aber nicht unlösbares Problem.)

Die stillschweigende Akzeptanz der Zentralisierung der Hauswirtschaft jedoch mit der gleichzeitigen Forderung nach Berufsarbeitsplätzen für alle Frauen ist ökologisch nicht zukunftsweisend, denn mit dem Ende des Energieüberflusses wird die Hausarbeit wieder dezentral geleistet werden müssen, von wem auch immer, sei es in zehn oder 50 Jahren; und es wäre dann für die, die sie leisten müssen, nützlich, wenn sie dann schon einen hohen Stellenwert einnimmt.

Dorothea Meinsen, Friesoythe