Die andere Sicht-betr.: "Armenier müssen auf Berg-Karabach verzichten", taz vom 16.1.90

betr.: „Armenier müssen auf Berg-Karabach verzichten“,

taz vom 16.1.90

Mit Befremden haben wir als Armenier in Berlin das oben angegebene Interview gelesen. (...)

Willkürliche Territorialentscheidungen im Transkaukasus haben dazu geführt, daß unter anderem 1921 ein Teil des ostarmenischen Siedlungsgebiets an die SSR Aserbaidschan abgetreten werden mußte; gegen den Willen der armenischen Mehrheitsbevölkerung, unter Verletzung des auch vom sowjetischen Staatsgründer Lenin anerkannten nationalen Selbstbestimmungsprinzips sowie ebenfalls in Verletzung anfänglicher sowjetischer Versprechen, die armenischen Gebiete Karabach und Nachitschewan an die SSR Armenien anzuschließen. Im Ergebnis der unseligen Revision dieser frühsowjetischen Beschlüsse erlitt die armenische Bevölkerung des autonomen Gebiets Berg-Karabach unter der Verwaltung Sowjet-Aserbaidschans zahlreiche Diskriminierungen in politischer, sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Die eklatanten und fortgesetzten Verletzungen grundlegender Menschen- und Minderheitenrechte führten dazu, daß die heute etwa 140.000 Armenier des autonomen Gebiets sich seit den sechziger Jahren durch Petitionen bei den zentralen Regierungs- und Parteigremien Gehör zu schaffen versuchten, vergeblich. Von aserbaidschanischer Seite wurde der Druck daraufhin jedesmal verschärft.

Ermutigt durch die Reformversprechungen der Regierung unter Gorbatschow unternahmen die Armenier des autonomen Gebiets Ende 1987 Anfang 1988 einen weiteren Vorstoß in Moskau, der ebenfalls scheiterte. Die einseitige und tendenziöse Behandlung ihres friedlich vorgebrachten Anliegens in den zentralen sowjetischen Medien bestärkte daraufhin die Aserbaidschaner zur Anwendung offener Gewalt, die erst einmal in den Pogromen von Sumgait gipfelte (Ende Februar 1988: offiziell 32 Tote - die wirkliche Zahl dürfte erheblich höher liegen).

Anschließend kam es in den aserbaidschanischen Großstädten Baku und Kirowabad, aber auch im autonomen Gebiet selbst und sogar in den an Aserbaidschan angrenzenden Bezirken der SSR Armenien immer wieder zu gewalttätigen aserbaidschanischen Übergriffen, Überfällen und Pogromversuchen. So fielen allein im Zeitraum August bis Mitte September 1989 31 Menschen (29 Armenier, eine mit einem Armenier verheiratete Russin sowie ein von Aserbaidschanern getöteter russischer Soldat) Aserbaidschanern zum Opfer.

Seit Sommer 1989 leidet die Bevölkerung sowohl der SSR Armenien, als auch des autonomen Gebiets unter der von aserbaidschanischen Nationalisten verhängten Blockade der Transportwege. Zu der allgemeinen Unsicherheit von Leben und Eigentum gesellt sich nun auch die nackte Not, insbesondere weil die SSR Armenien nach wie vor außerordentlich unter den Folgen des Erdbebens vom 7.12.88 leidet. Der versprochene Wiederaufbau erfolgte schon vor der Blockade äußerst schleppend und brach dann, in Ermangelung von Baumaterial und Rohstoffen gänzlich zusammen; 750.000 obdachlose Menschen nach offiziellen Angaben, darunter mindestens über 200.000 armenische Flüchtlinge aus Aserbaidschan.

Ermutigt durch die Tatsache, daß die Organisatoren der bisherigen Pogrome, wie zum Beispiel in Sumgait 1988, ungeschoren blieben und mehr noch in Aserbaidschan als Helden gefeiert wurden, setzte die aserbaidschanische Volksfront noch einen Genozid dazu: Seit Anfang Januar 1990 wird die in Baku lebende armenische Minderheit gehetzt, erschlagen, auf bestialische Weise unter anderem durch Verbrennen bei lebendigem Leibe umgebracht. (...).

Die Überlebenden werden mit Hilfe der sowjetischen Truppen

-die wie im Fall Sumgait zu spät eingriffen - evakuiert. Bis heute hat das Morden an armenischen ZivilistInnen in Baku nicht aufgehört.

Damit sie sich nicht wie seit Jahren von Turk -Aserbaidschanern abschlachten lassen, haben sich die Armenier in Karabach sowie in anderen von ArmenierInnen bewohnten Gebieten Aserbaidschans zur Selbstverteidigung entschlossen.

In einer den Türken wie Aserbaidschanern gleichsam vertrauten Art und Weise will Herr Jazdani Opfer und Täter vertauscht wissen. Das Recht der Karabach-Armenier auf Selbstbestimmung heißt in seinem Vokabular: „Von einem Großarmenien träumen.“ Auf das gerade begangene Völkermordverbrechen der Aserbaidschaner an den ArmenierInnen in Baku geht dieser erst gar nicht ein. (...)

Armenische Kolonie zu Berlin e.V., der Vorstand i.V. Samwel Owassapian

Traurig für einen taz-Leser, daß der Interviewer im Interview mit dem iranischen Aserbaidschaner-Nationalisten so schwach und hilflos bleibt. Beim flüchtigen Leser bleibt das einfache Interview eher hängen, als die weniger eingängige Berichterstattung drum herum.

Gut für die ideologiefreie Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), wenn sich ihre Berichterstattung wieder als die kompetenteste und verläßlichste erweist (viel an dem taz -Artikel wäre zu korrigieren und zu vertiefen). Nicht sehr überraschend, daß sie dafür von rechts, zum Beispiel unserem West-Stasi und Gleichgesinnten in Nord- und Südamerika und anderswo belästigt wird. Vielleicht auch nicht so überraschend, daß sie seitens der UdSSR als sowjet- und seitens China als chinafeindlich verdächtigt wird. Überraschend, daß sie seitens der SPD als kommunistisch unterwandert verdächtigt wird?

Traurig jedenfalls für einen bisherigen Grünen-Wähler, daß der Solifond der Grünen die GfbV von seinen Stiftungsmitteln ausschließt, weil sie sich für die Indianer in Nicaragua eingesetzt hat.

MitläuferInnen aller Schattierungen springt über Euren Schatten.

Urs Roman, Berlin