Du kannst verlassen werden

■ George Tabori inszeniert Shakespeare „Othello“ im Akademietheater

Othello ist ein melancholischer Mann. Ein schlaksig -eleganter Schwarzer der Jazz-Ära, der den Blues singt, wenn er den Machthabern Venedigs die Geschichte seiner Liebe erzählt. Der mit großen Kinderaugen von seinen Abenteuern berichtet, von Kannibalen und Ungeheuern, von Sklavenschaft und Heldentum. Mit der Kunst des Erzählens hat Othello das Herz der schönen Desdemona gewonnen: „Sie liebte mich um all meiner Gefahren. / Ich liebte sie um ihres Mitleids willen.“ Nicht mit schwarzer Magie, wie der Vater seiner Liebsten, Brabantio, ihm vorwirft. In seiner Enttäuschung - denn alle Väter wollen die einzig Geliebten ihrer Töchter sein - warnt er Othello: „Gib acht, Mohr, tu nur brav die Augen auf: / Zuerst betrog sie mich, vielleicht folgst du bald darauf!“

Desdemona bleibt dem Väterlichen treu: auch Othello ist schon ein wenig im „Tal seiner Jahre“, und wie ein Kind hält er sie, die Zarte, in seinen schwarzen Armen. Erst im Glück, dann im Tod. Und dabei wird er selbst zum Kind. Denn als Jagos Gift, die Eifersucht, das grünäugige Monster, zu wirken beginnt, wird der tapfere Mohr, auf den Venedigs Militär baut, zum Winzling, zum einsamen, verlassenen Kind. Mit ausgestreckten Beinen sitzt der große Mann am Boden, starrt und singt leise vor sich hin. Seine Hände bewegen sich mechanisch, als gehörten sie nicht zu ihm, spielen mit den Scherben, die der Rasende gerade zerbochen hat. Er wimmert und weit, er flüstert „Desdemona“ - es könnte auch „Mama“ sein. Aus und vorbei, ach, ich habe sie verloren. Der erwachsene Bär hat sich aufgegeben, der kleine Othello schluchzt in Jagos Schoß.

Das ist die Tragödie der Eifersucht. Und Jago, der Schurke: er liebt (wie) Othello und hat noch mehr Angst vor der Liebe, die immer heißt: du kannst verlassen werden. Er ist Othellos alter ego, er treibt ihn als einen “ Teil von sich selbst in den Wahn: für ihn muß Othello in Desdemona alle Frauen töten. Denn alle Frauen - vor allem Mama - betrügen. So torkeln sie gemeinsam über die Bühne, und wenn Jago zu Othello biestig wird, verzerrt er zugleich sein knautschig -frustriertes Gesicht, als litte er selbst die Höllenqualen, die er dem anderen zufügt. Am Ende stehen der kleine Othello und der kleine Jago mit Handschellen aneinandergekettet am Bett der Toten: Othello gibt sich den Dolch, Jago braucht ihn nicht mehr. Seine Seele ist schon Asche.

Tabori zeigt Mut: anstelle von experimentellen Formen setzt er auf Gefühl. Ein Balanceakt der Glaubwürdigkeit, der hin und wieder ins fast Unerträgliche, weil so Gefühlvolle, zu kippen droht. Doch er gelingt. Ohne Brüche, ohne Ironie wird Schritt um Schritt der langsame, von Anfang an sichere Abgang vollzogen (in sicherer Begleitung der Kurtisane Bianca, Wiebke Frost, die - Sinnbild Venedigs mit rasselnder Geldbüchse und zugleich als orientalische Tödin - düster umherschleicht).

Tabori hat diese Entwicklung intensiviert, indem er etliche Zwischenszenen gestrichen und den zweiten, dritten und vierten Akt ohne Zäsur zusammengezogen hat (gespielt wird die Übersetzung von Erich Fried). Der Akzent wird so auf die Gefühle gelegt, daß der Rassenkonflikt dabei etwas verblaßt. Während Shakespeare 1604 einen Skandal auslöste, weil er Schwarz mit Weiß auf der Bühne ins Bett legte, vergißt man hier eher die Problematik des Fremdenhasses - „Sehen wir nicht, daß er schwarz ist, / Sehen wir, daß er gut ist“, sagt Rodrigo (Günther Einbrodt). Vielleicht, weil die Zeichnung der Eifersucht so allgemein und treffend ist: weil sie stärker als alles andere wirkt. Und vielleicht ist es die liebevoll-scharfe Wahrnehmung und Umsetzung der subtilsten Regungen, ihre nüchterne Interpretation, die keine Sentimentalität oder Kitsch aufkommen läßt.

Kaum zu glauben, zumal Gert Voss als Othello geradezu das Klischee des guten Wilden, des musikalischen Negro verkörpert: mit exotisch-gutturaler Aussprache, einem kleinen brummigen Lachen zwischen Ironie und Unsicherheit, mit leicht von unten nach oben gedrehtem Blick, der das Augenweiß betont, schlenkert er lässig ungezähmt zwischen den uniformierten Venezianern hin und her. Aber: es funktioniert. Er gurrt und rast so wunderbar, es ist zum Verlieben. Und auch Ignaz Kirchner als sein Widersacher Jago ist hinreißend als Depressiver, der gern säuft (wie sein nicht minder frustriertes Weib Emilia, Elisabeth Orth, die im letzten Akt ihre beste Stunde hat). Keineswegs der Böse an sich, wie er oft gedeutet wurde, da angeblich so ohne „Motive“, sondern ein von Eifersucht und Neid Gequälter, ein immer zu kurz Gekommener. Sein ambivalentes Spiel entlarvt hinter dem Macchiavellisten, der scheinbar so kalt die Fäden zieht, einen, den seine Haßliebe bald zerreißt.

Daß Urteilskraft von Leidenschaften stets getrübt wird, ist eine message, die Shakespeare unermüdlich wiederholt hat. Tabori verlagert das Spiel mit dem Sehen auf das Hören (vielleicht, weil er selbst Geschichten liebt?): für die Wut des Eifersüchtigen, Zeichen zu lesen (gegen sich selbst!), macht das kaum einen Unterschied - genausowenig wie für den, der die Deutung manipuliert. So wird Othello mit einer Tonbandaufnahme, die Jago ihm vorspielt, von Desdemonas Untreue überzeugt: die metaphorische Lauscherszene ist eine buchstäbliche geworden. Und am Anfang sieht man, wie Jago leidet, weil er das Stöhnen des Liebespaares - über Lautsprecher - hört.

Handelt es sich doch um Dreiecke des Begehrens, die zusammen Vier ergeben (zwei Paare), spielt sich das Drama auf einem mit der Spitze ins Parkett ragenden Quadrat ab. Halb Reling, halb Boxring, hat Karl-Ernst Herrmann eine schlichte Bühne gebaut, hat die Farben Venedigs - Tizian bis Violett - gemischt, für Zypern die Erdbeeren des berühmten Taschentuchs gewählt. Er hat mit sparsamen Requisiten eine Bar a la Casablanca angedeutet, mit Palmwedel, Cocktails und einem Flügel. Julia Stemberger als Desdemona lehnt daran wie Ingrid Bergmann, wenn sie, die sehr Sanfte (die viel weint), mit den Offizieren kokettiert. Das Schlafzimmer am Ende ist schwarz-weiß, Othello verwechselt Küsse mit Kissen, und da seine Haut wie sein Wahn auf seine Umgebung abfärben, sind Desdemona und Jago ganz angeschwärzt.

Die Wiener haben sich nach der Premiere am 10.Januar 1990, bei Vollmond, schier überschlagen: sie haben Othello als Zeitgenossen und das „teuflische Spiel im Männerbund“ als Spiegel aktueller Politik erkannt. Sie haben das schwarze Schaf der Theaterszene, den immer Fremden Tabori, zusammen mit den Stars des heiligen Burgtheaters umjubelt.

Tanja Neumann

William Shakespeare: Othello,

Regie: George Tabori,

mit Gert Voss, Ignaz Kirchner,

Wien, Akademietheater,

nächste Aufführung: 27.1.