Lohndumping befürchtet

„Ein Batzen Leute“, befürchtet Aifer Turhan vom Tusma -Vorstand, „werden im nächsten Semester auf Jobsuche hierherkommen, das ist unvermeidlich.“ Sein Stoßseufzer gilt dem Ansturm pendelnder StudentInnen aus Ost-Berlin, von denen schon jetzt immer mehr die Arbeitsvermittlung der Technischen Universität (TU) aufsuchen. Seit der Maueröffnung melden sich mit dem Ziel, sich in naher Zukunft zu immatrikulieren, allein bei der TU-Studienberatung jede Woche 120 Kommilitonen-Ost - Tendenz nach Auskunft der Mitarbeiter „drastisch steigend“. Und wer von ihnen benötigte nicht - im Falle der Einschreibung - Lehrbücher, Fahrgeld, wollte hier nicht zu Mittag essen und auch mal im Cafe sitzen. Mit anderen Worten: Wer könnte schon auf einen Nebenjob für Westknete verzichten? Die Zahl derer, die sich für das kommende Sommersemester an Westberliner Unis eingeschrieben haben, soll sich bereits auf drei- bis viertausend belaufen.

Vorerst jedoch sind die Abtrünnigen des einstmals „proletarischen“ Bildungswesens als West-Arbeitskräfte kaltgestellt - jedenfalls bei der Tusma. Dort können sie sich zwar als TU-Nebenhörer in die Kartei eintragen lassen, aber vermittelt werden dürfen sie nicht. Das zu erwartende Okay des Arbeitsamtes steht noch aus, einiges ist noch klärungsbedürftig, sowohl mit dem Senat als auch mit dem Finanzamt. Auch die „Heinzelmännchen“, Jobvermittler der Freien Universität (FU), zeigen bislang den pro Woche etwa 30 anfragenden OstberlinerInnen die kalte Schulter. Begründung: die Richtlinien erlaubten nur die Vermittlung von vollimmatrikulierten StudentInnen der FU, der hiesigen Kirchlichen Hochschulen, der Film- und Fernsehakademie sowie von FU-NebenhörerInnen, die an einer bundesdeutschen Uni eingeschrieben sind.

Zum Problem für die studentischen Arbeitsvermittlungen könnte sich die Lohndrückerei Westberliner Unternehmen auswachsen angesichts der steigenden Zahl anspruchsloser Universitätsgänger von drüben, die für acht oder nur sieben Mark die Stunde nachts hinterm Tresen stehen, Treppen wischen oder Bauholz stapeln. Der Tusma-Service will trotzdem auch künftig an seinen Vermittlungsbedingungen festhalten und Job-Offerten unter zwölf Mark Stundenlohn gar nicht erst bearbeiten. Ehrbar ist das schon, doch realistisch? Nach Auskunft von Tusma-Vorstandsmitglied Turhan macht sich die arbeitsfreudige Pendlermasse aus dem Osten bei ihnen noch nicht durch rückläufige Vermittlungszahlen bemerkbar. Doch hört man auch bereits andere Töne - aus der FU.

Über Drohgebärden der Unternehmer klagt Asta- und Studentenwerksbeauftragter Said Abaidi von den „Heinzelmännchen“. Sobald die studentischen Arbeitsvermittler ihre Forderung von 15 Mark die Stunde nennen, poltern Jobanbieter am anderen Ende der Telefonleitung jetzt zuweilen los: „Wenn Ihr zu diesem Preis vermittelt, dann finden wir woanders schon billigere Leute.“ Abaidi schätzt, daß in den vergangenen Monaten der Vermittlungslohn schon um zwei Mark gefallen ist. Am härtesten davon betroffen sind erwartungsgemäß die ausländischen Kommilitonen. 85 Prozent von ihnen sind auf jene Jobs angewiesen, wie sie Tusma und Heinzelmännchen organisieren. Praktisch jeder zweite, der hier nach Arbeit Ausschau hält, ist Ausländer. Es bedarf nur wenig Phantasie, sich vorzustellen, was passiert, wenn die Warteschlange bei insgesamt 140 Vermittelten täglich bald doppelt so lang sein wird - von OstberlinerInnen, die auch für die Hälfte des bisher Üblichen jobben würden. Nach dem Gesetz dürfen die „Heinzelmännchen“ die Billiglohn-Vermittlungen nicht grundsätzlich ablehnen; für die Einhaltung der Forderung nach annehmbaren Stundenlöhnen indes sorgt (noch!) die Solidarität der StudentInnen: Lohndumping wird schlichtweg boykottiert.

Aber es braut sich was zusammen. Wenn sich im Wintersemester 90/91 der nächste DDR-Abiturjahrgang ohne Hindernis an den Unis hierzulande einschreiben kann, wird der Ansturm grenzenlos sein. Den Untersten in der „Diskriminierungshierarchie“ (Said Abaidi) weht dann der rauhe Ostwind ins Gesicht.

Thomas Worm