KEINE LIEBE ZUR A46

■ Filme zu Autos und Straßen im Arsenal

Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz. Ein Kamerafadenkreuz sucht ein Autobahnkreuz einzufangen, oder eher: versucht es nicht. Die beiden „engagierten“ Filmemacherinnen Riki Kalbe und Barbara Kasper haben sich für ihren 1987 gedrehten 45minütigen Dokumentarfilm einen ungewöhnlichen Drehort, das Autobahnkreuz Sonnborn in Wuppertal und seine Umgebung, gewählt. Der Knoten Sonnborn, wie der Film heißt, könnte kein übler Protagonist sein, kreuzen sich in ihm doch verschiedene Ströme, Geschwindigkeiten und Zeitschichten, laufen in ihm die Schwebebahn als Nahverkehrsmittel, die Bundesbahn und die Autostraßen auf verschiedenen Ebenen in eins. Unter der alten Eisenbahnbrücke mit ihren immergleichen vier Gleisen ziehen sich mittlerweile vierzehn Autospuren hindurch. Und immer noch wird eine neue Autobahn zugeführt, wird das Kreuz mit noch mehr Beton verknotet, wird eine weitere Naturanlage dem Knoten zwangszugeführt, wird ein „umweltfreundlicher“ Tunnel aus Knotenerweiterungsgründen in einen Berg getrieben - all das regt die Filmemacherinnen weniger an als auf.

Sie haben eine filmische Anklage gegen das Sonnborner Kreuz verfaßt, werfen ihm seine frühe Geburt im Nationalsozialismus vor. Sie wollen anhand seiner Aufklärung betreiben über den Zusammenhang von Stadtentwicklung und Personalpolitik, von „Planungs- und Planerkontinuität“. Sie sind nicht mal genug Cineasten, um ihre Kamera ein einziges Mal in dieen Moloch einzuführen, um das phantastische Gleiten auf den Straßen zu testen und das gigantische Loopinggefühl in der eigenen Magengrube zu spüren; sie brauchen nicht die Nähe zum Objekt, um über sein Wesen was auszumachen; sie kennen nicht den Zusammenhang von Mobilität und Film; sie haben noch nie was von Kamerabewegung gehört; weiblich schamhaft bleiben sie außen vor.

Dokumentation wird von ihnen mit ordentlicher Fotografie erledigt, weswegen man vor allem Personen beim Einsteigen in die Nahverkehrszüge oder beim Lesen der Wandtafeln in den Bahnhöfen sieht. Der kurze eingeblendete Dokumentarstreifen von 1953, eine Art Aufklärungsfilm über die Verkehrsprobleme der damaligen Zeit, kennt unvergleichlich mehr Liebe zu dem gezeigten Straßenchaos und mehr Ambivalenz hinsichtlich technischer Errungenschaft. Im Sonnborner Knoten spürt man nichts von Straßenerschütterung, von der Tuchfühlung der Autos untereinander, von der Flüssigkeit der technischen Ordnung, vom ohrenbetäubenden Lärm, nichts von Zwangsumsiedlungen von Personen oder beeinträchtigter Lebensqualität: nur ein paar Sackgassen in den immer gleichen langen, langweiligen Einstellungen weisen darauf hin, daß hier etwas zu Ende ging. Das Ganze wird wie ein Naturobjekt für sich betrachtet, als ginge es uns in seiner Gewalt gar nichts an; immer göttlicher wird die Perspektive, immer weiter die Winkel, immer romantischer das nächtliche Lichterspiel. In einer einzigen Sequenz, in der Vierzigtonnenlaster sich Sonntag abend gegen 22 Uhr durch die schmalen Straßen eines Stadtteils von Wuppertal zwängen, anstatt die für sie vorgesehene Auffahrt zu benutzen, weil sie ein paar Kilometer weiter liegt, wird das Erdbebengefül deutlich, das diese Invasoren verursachen; auch die Hilflosigkeit des Fußgängers sieht man einmal in der Figur des kleinen Jungen, der hilflos an einer Kreuzung steht. Menschen kommen ansonsten hauptsächlich als Jogger und Tai -chi-Kämpfer am Straßenrand vor; sie wirken lächerlich, wenn sie wie die im Kanon plappernden Frauen über die baldige Unzugänglichkeit ihres geliebten Naherholungsgebietes klagen oder von ihrer geliebten Heimat singen, wie der absolut unharmonische Männerchor. Mir scheint, daß die Filmemacherinnen das Technikobjekt genauso objektivistisch in Angriff genommen haben wie die Männer, die für seine Realisierung verantwortlich sind - die eingeschobenen Informationen zu 8.300 Kilometern Autobahnverpflasterung der Bundesrepublik, eine Strecke von Frankfurt bis Schanghai, und weiteren geplanten 1.600 Kilometern wirken dann nur wie eine den Film legitimierende Betroffenheitspatina.

Riki Kalbe hat für das Arsenal um ihren Film eine kleine Autofilmreihe drumrum gruppiert. Sie hat vielleicht nicht zufällig Filme ausgewählt, die ebenfalls weniger auf die Mobilität als auf die Ungeheuerlichkeit der Automaschine bauen. Die drei, die ich meine, stammen aus den Jahren 1905 bis 1928, als es noch keine Kamerafahrten und Kameraschwenks gab. In dem Kurzfilm von Georges Melies Le voyage automobile Paris-Monte Carlo en deux heures (1905) ist das handkolorierte Auto ein durch Kulissen flitzendes kleines Maschinchen, das aufgrund mangelnder Lenkbarkeit alles unter seinen Rädern begräbt. Menschen werden plattgewalzt, Gebäude brechen wie Streichholzkonstruktionen ein... Diese potentielle Verselbständigung der Maschine macht das Auto schon in der Frühzeit des Films zu einem Komikträger par excellence: Gendarmen versuchen vergeblich, den Eindringling in die Stadt mit ihren dicken Bäuchen abzuwehren; die überfahrenen Personen werden mit Luftpumpen wieder in die Dreidimensionalität gebracht. Charlie Chaplin geht es in seinem Kurzfilm Kid Auto Races at Venice (1914) nicht um die Gefährlichkeit von Autorennen, sondern um die Attraktivität der neuen Maschine, die den Fotografen wichtiger geworden ist als der Mensch. Sein einziges Unterfangen in diesem Film besteht darin, sich immer wieder in seiner erstmals verwendeten Chaplinbekleidung in das Blickfeld der Kamera zu schieben und sich mit dem Spazierstock und der Melone schöner zu erweisen als das Gefährt.

Laurel und Hardy haben 1928 in Two Tars von Hal Roach schon was vom Autoverkehr gewußt: Autofahren beinhaltet nicht nur Eindruckschinden bei hübschen Mädchen, sondern vor allem endloses Schlangestehen. Der Film ist die Geschichte einer immer orgiastischer werdenden Materialschlacht zwischen den ihre Aggressionen in Autodestruktion ummünzenden Wartenden.

Einzig der Film von Kenneth Anger Kustom Kar Kommando (1965) kennt eine absolute Verschmolzenheit von Mensch und Maschine: es gleicht einer sanften Penetration, wenn der Fahrzeugführer schließlich sein lang poliertes und nun chromblitzendes Gefährt besteigt.

Michaela Ott

„Knoten Sonnborn“, „Paris-Monte Carlo“ u.a., 26.1., 20 Uhr; „Kid Auto Races at Venice“, „Two Tars“, „Kustom Kar Kommando“ u.a., 27.1., 20 Uhr; „Work“ von Fred Wardenburg (USA 1970) und „Weekend“ von Jean-Luc Godard (Frankreich 1968), 28.1., 20 Uhr und Wiederholungen 30./31.1., jeweils 18 Uhr.