Telenutella

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(Das Recht zu lieben, Montag bis Donnerstag, ARD, 16.03 Uhr) Was bisher geschah, ist verwickelt, in Schmalz getränkt und überhaupt nicht erwähnenswert. Wer will schon mitverfolgen, wie Rosalia im Rio de Janeiro der Jahrhundertwende auf einem Maskenball einen berückenden jungen Mann kennenlernt und so dumm ist, nicht nach seinem Namen zu fragen, demnach Folge um Folge darum bemüht ist, den unbekannten Schönling aufzuspüren? Wer will denn wissen, daß just dieser smarte Adriano Sohn eines skrupellosen Bankiers ist, der es ebenfalls auf das Mädchen abgesehen hat und den Eltern von Rosalia die Heirat abpressen will? Wer verspürt große Lust, die 160 Teile auszuharren, um zu erfahren, wie der Kampf zwischen Vater und Sohn ausgeht und ob Rosalia ihren Adriano endlich lieben darf?

Irgendwie findet jede Serie ihr Klintel, und so verhält es sich auch mit den brasilianischen Telenovelas, die im Ersten inzwischen einen festen Platz im Nachmittagsprogramm gefunden haben. Nach Sinha Mo?a und Sklavin Isaura sollen uns nun die verworrenen Erzählschnüre von Das Recht zu lieben derart fesseln, daß Gert Müntefering, verantwortlicher Redakteur der Reihe, sein Steckenpferd über die nächsten Runden retten kann. Denn auch mit der dritten Staffel der Herz-und-Schmerz-Geschichten ist noch längst nicht klar, ob die Telenovelas auf Dauer gegen die Front der Fieslinge aus Dallas und Denver und die apokalyptische Krisenbewältigung der Lindenstraße überhaupt den Hauch einer Chance haben. Denn eines unterscheidet diese Serie von den anderen: In Rio de Janeiro hat man es noch nicht geschafft, aus Erdöl Dollarscheine zu raffinieren; deshalb spielen Intrigen um pekuniäre Aspekte des Lebensstils keine Rolle. Hier hat man Geld und spricht nicht darüber, ansonsten heiratet man ein oder man ist Gärtner, und dann geht es einem auch nicht schlecht. Auch vom Mutter-Beimar-Syndrom bleibt der Zuschauer verschont. Die Zeit um 1900 kennt nur das Familienoberhaupt und dessen Willen. Die große Liebe ist also noch möglich, weil sie gefährdet wird durch die patriarchalischen Engstirnigkeiten der Väter.

Kurz gesagt: Die Telenovela funktioniert. Der Zuschauer ist gefesselt. Liebe und Leid, Intrige und Moral. Düstere Ahnungen um ein geheimnisvolles Haus, lichte Momente des Glücks. Dutzendgefühle zur leichten Verdauung. Auch die Dramaturgie arbeitet nach Standardmaß. Ebenso wie in den anderen Serien entsteht nie filmische Dynamik, die Kamera zeichnet bloß die Inszenierung von Dialogen auf, deren Inhalt nur deshalb an Spannung gewinnt, weil sie an der entscheidenden Stelle unterbrochen und erst später in der Handlung wieder aufgenommen werden. Die Unterbrechung hat Methode. Sie ist das Axiom der Serie. Der Lauf der Welt mag noch so belanglos sein, durch die Atomisierung in kleine Schnipsel mißt der Regisseur dem Bedeutungslosen Bedeutung bei. Das erklärt alles und das Nichts. Denn es ist wirklich nichts zu sehen, während die Telenovela läuft. Nicht mehr als die perfekte Verwaltung von Langeweile. Wie gesagt, kaum der Erwähnung wert. Trotzdem schalten wir immer wieder ein, es ist ganz beruhigend und so normal.

Christof Boy