Dachschaden

■ Melbourne: Hitze, Kappen, Regen, Pullis, Feudel

John, ehemals Bigmac, McEnroe hatte vor Wochen geklagt, die Australien Open fänden viel zu früh in der Saison statt, weil es den Spielern an Vorbereitungszeit mangele. Ein durchaus richtiges Argument, das aber mit den Vermarktungswünschen der Veranstalter arg kollidiert. McEnroe, der Vierbuchstabensieger über sich selbst vom vergangenen Sonntag, hätte noch einen guten Grund für eine Verschiebung in den März oder April anfügen können: Melbournes zeitweilige Gluthitze im Hochsommer der Südhalbkugel, wenn der heiße Wüstenwind aus den nörlichen Outbacks die „Garden City“ zum Verdörren und einen Hitzkopf wie ihn zum endügltigen Überkochen bringt.

Die vergangenen beiden Tage waren so heiß, daß ZuschauerInnen auf der Trage vom Platz getragen werden mußten und schon Befürchtungen laut wurden, wann den ersten Spieler rasenden Pulses der Hitzschlag treffen würde. Da kam jetzt wieder das Dach ins Gespräch, jenen beweglichen, viele hundert Tonnen schweren Stahlkoloß, der die kühne Anlage von Flinders Park bei Bedarf von einer Freiluftarena zum klimatisierten Hallenplatz machen kann. Aber ist Hitze ein Bedarf?

Vor zwei Jahren, als das supermoderne Nationale Tenniszentrum von Melbourne eröffnet worden war, lobten die Erbauer ihre vorsorgliche Option aus Stahl als Garantie gegen Regenpausen, wie so oft etwa in Wimbledon erlebt. Doch sehr schnell wurde aus der schönen Theorie gnadenlos gemeine Praxis. Begann es zu tröpfeln, wußte niemand zu entscheiden, ob man eine kurze Pause machen solle, um dann offen weiterzuspielen, oder ob man eine längere Pause machen solle, um das Dach zuzuschieben.

Murphys Gesetz, wonach etwas schief geht, wenn es nur schief gehen kann, war unerbittlich. Immer war die Entscheidung falsch: Macht man zu, schien alsbald die Sonne, und auf den Nebenplätzen wurde längst wieder outdoor gespielt, während die Centre Court-Akteure noch in der Kabine auf die Fortsetzung ihres Spiels unter neuen Hallenbedingungen warteten.

Beim damaligen Endspiel Wilander-Cash wurde es besonders gemein: Ein kurzer Platzregen setzte den Platz unter Wasser, den Dutzende fleißiger Hände erst mit vielen Lappen aus der prämodernen Zeit trockenfeudeln mußten, als das Dach längst geschlossen war.

Jetzt erwägt das Organisationskomitee, das Regendach nicht nur ersatzweise als Sonnenschirm für die VIP-Plätze zu nutzen, sondern gegen die Hitze. Zu irgendetwas muß das millionenschwere Ding (in Kilogramm wie in Dollar), wo es einmal stolz hingeprotzt wurde, ja nutze sein. Dem steht aber jetzt dummerweise die allgemeine Verpflichtung gegenüber dem Welttennisverband entgegen, daß man ein Freiluftturnier veranstalte. Zudem gehe es nicht an, daß den Filzball-Stars auf den Nebenplätzen der Schweiß aus den Poren treibt, während ein privilegiertes Pärchen sich beim Hallentennis abkühlen dürfe. Gleiches Recht also für alle Tennismillionäre!

Nein, mault Steffi Graf gleich, gleiche Bedingungen: „Es ist ein Freiluftturnier, und das sollte es auch bleiben.“ Ivan Lendl, die Nummer eins des anderen Geschlechts, will, daß das gegessen wird, was auf dem Tisch ist (hat schon sein Pappi gesagt, d. s-in): Recht so, sagt der tschechisch -autralische Beduine mit dem Rundumkopfschutz als Privatdach, „das Dach ist da, also nutzt es auch.“ Cheforganisator Jim Reid klagt nun, es sei von weiter oben in der Tennishierarchie belehrt worden, „die Zähigkeit der Spieler spiele eine ebenso große Rolle wie die Begabung“.

Was also tun? Zutun oder nicht? Reid hat erkannt, daß das Vergleichsargument ab morgen, wo nur noch auf denm Centre Court gespielt wird, wegfällt. Und als Marke hat er 35 Grad gesetzt. Dazu will er jetzt jeden Morgen um Punkt neun Uhr bei den Wetterfröschen anfragen, wie heiß es denn nun zu werden drohe. Bei 35 Grad und mehr werde zugemacht. Das wird, darf man guten Gewissens prophezeien, ein heißer Tanz auf einem womöglich plötzlich erlöschenden Vulkan: Gestern abend, nach einem die Meteorologen überraschenden Temperatursturz, spielte Yannick Noah im wärmenden Pullover sein Viertelfinale gegen Michael Pernfors.

Vielleicht sind morgen oder übermorgen 34 Grad, das Dach bleibt auf, und es gibt plötzlich einen Gewitterschauer. Immerhin, bis jetzt funktioniert die schwere Hydraulik. Aber auch wer keinen Dachschaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Bernd Müllender