Schiebermütze schlägt Baseballkappe

Boris Becker scheidet gegen einen überragenden Mats Wilander aus Halbfinals der Australien Open am Freitag: Lendl - Noah, Wilander - Edberg  ■  Aus dem Glutofen Bernd Müllender

Melbourne (taz) - Mats Wilander war zuvor sehr zuversichtlich gewesen, daß er besser aussehen werde als beim für ihn so schauerlichen Daviscup-Finale in Stuttgart. Das gelang ihm schon vor dem ersten Ballwechsel eindrucksvoll. Eine verwegene Schiebermütze kleidete sein lockiges Haupt, womit er noch eine Spur gewagter aussah als sein Gegner Boris Becker. Der große Rotblonde war, gegen alle Wetten zuvor, erstmalig in seiner Karriere mit einer schneeweißen Baseballkappe aufgelaufen. Die mörderische Hitze von Melbourne beendet so manche Gewohnheit und läßt alle Sorgen um Sichtverlust bei Aufschlagschwüngen dahinschmelzen.

Mit einem Doppelfehler schenkt Becker seinem Gegner den ersten Satz. „Mist“ und ein gewagtes „Bullshit“ lauten seine wütend herausgeschleuderten Kommentare. Die gestrengen Sittenwächter über verbalen Benimm haben es nicht vernommen

-John McEnroe hatte schon für einen einzigen falschen „fuck“ nach Hause fliegen dürfen. Dann nimmt die Parallelität zum Mecir-Match verblüffende Formen an. Becker führt im zweiten Satz 4:2, macht danach allerdings nicht wie im Achtelfinale zehn Punkte in Folge. Wilander gelingen dabei reihenweise sensationelle Passierschläge. Becker zieht schließlich die Kappe vor seinem Gegner, schenkt ihm barhäuptig einen weiteren Doppelfehler zum zweiten Satzball, verschlägt noch einmal, und der zweite Satz ist auch dahin.

Wilander spielt weiter wohlbehütet als der Große Gatsby aus Växjö. Er dankte nachher seinem Coach, daß der ihm die Mütze geliehen hat, und dem Wettergott, daß „es so heiß war wie nur eben möglich“, was ihm gegen den gegnerischen Kraftspieler geholfen habe, der wohl dachte, „weniger als hundert Prozent gegen mich zu spielen, sei genug“.

Vorher hatten australische Zeitungen geschrieben, Beckers sensationelles Fünfsatzmatch gegen Mecir hätte doch bewiesen, warum der Deutsche der Beste von allen sei. Vergessen war dabei, daß Becker auch von der späten Verzweiflung des tschechischen Gegners gelebt hatte und sich anfangs so hatte vorführen lassen.

Als Becker, der zuvor 18 Grand-Slam-Spiele in Folge gewonnen hatte, im dritten Anlauf wieder in Rückstand geraten war (wie auch gegen Mecir), mag er gehofft haben, daß sich Geschichte doch wiederholen lasse. Doch des Schweden Grundlinienschläge kamen weiter, perfekt gezielt, perfekt getroffen. Zwischendurch hatte er Muße genug, einen verunglückten Becker-Ball mit der Hacke einem Balljungen volley in die Hände zu zirkeln. Bumbum bummte weiter nahtlos notlose Fehlschläge („unforced errors“) - rekordverdächtige 38 zählten die emsigen StatistikerInnen, dazu neun Doppelfehler und fast ein Dutzend vergebener Breakbälle.

Das alles war zuviel für den Karriere-Frühstarter Becker (minderjähriger Wimbledonsieger), aber Spätstarter von Melbourne, was die Siegessätze angeht. Der schwedische Grundlinienartist ließ trotz aller Hitze, fast 40 Grad im Schatten, 60 am Boden, nichts mehr anbrennen, am Ende hieß es 6:4, 6:4 und schnell 6:2.

Boris Becker zeigte nachher mehr Enttäuschung, als er bereit war zuzugeben. „Schon frühmorgens, als ich aus dem Haus gekommen bin, ist mir so eine heiße Welle entgegengeschlagen. Für einen Typen mit meinem Gewicht sind diese Bedingungen schrecklich. Hätten wir abends gespielt, wäre es ein ganz anderes Match geworden, eine komplett andere Geschichte.“

Eben: Geschichten sind oft verschieden, aber die Geschichte, die unwiederholbare, ist auch immer eine andere. Auch wenn sich ein Teil der Geschichte nun doch immer wiederholt: Boris Becker kommt in Melbourne nie weiter als bis ins Viertelfinale, und dies war ihm bislang auch nur einmal gelungen, in prähistorischer Zeit, 1984, als der Jüngling an Ben Testerman gescheitert war. Aber das ist ja eine längst vergangene Geschichte.

Auch Beckers Kollegen hatten in den anderen Viertelfinals mit der Hitze zu kämpfen. Ivan Lendl, wieder im feschen Beduinenlook, hatte die geringste Mühe mit dem umgesetzten Jungsowjet Andrei Cherkasow: 6:3, 6:2, 6:3. Auch Yannick Noha machte es gegen Michael Pernfors dreisätzig flott: 6:3, 7:5, 6:2.

Stefan Edberg, bis dahin souverän ohne jeden Satzverlust, hatte neben dem ungesetzten Gegner David Wheaton (USA) auf einem offenen Nebenplatz vor allem mit dem böigen Wüstenwind zu kämpfen. Sichtlich genervt verlor der Schwede seine Konzentration mehrmals, als da einmal ein Fotografenhut über den Platz tanzte, mal ein Sonnenschirm umkrachte, sich diverse Reklamereiter scheppernd absattelten und Edberg bei einem Aufschlagversuch fast umgefallen wäre.

Wheaton, der Nobody, der mit zwei herausgespielten Siegen und über zwei verletzte Gegner ins Viertelfinale gekommen war, stellte sich zudem geschickter an, als es ein Weltranglistenplatz 66 vermuten ließ. Immer wieder drosch er dem wie gewohnt offensiv vorpreschenden Edberg die Bälle auf den Körper, so daß der schwedische Weltranglistendritte am Netz ungewohnt viele Fehler machte. Bevor er den dritten Satz verlor, hatte er schon im zweiten zwei Satzbälle abzuwehren. „Wenn ich den Satz auch abgegeben hätte, wäre ich ganz schön in Schwierigkeiten gekommen“, meint der scheinbar emotionslose Mann, der auch unter der unerbittlichen australischen Sonne als „der beste Kühlschrank gilt, der jemals Tennis spielte“.

Nach dem 7:5, 7:6, 3:6, 6:2 versuchte jemand zu ergründen, wie man denn bei ihm mal ein Gefühl entdecken könne: „Eine gute Frage. Da muß man sehr, sehr, sehr umsichtig hinsehen, am besten, wenn man ein Fernglas zoomt. Dann werden Sie schon in der Lage sein, ein Anzeichen von einem Bißchen auszumachen.“