piwik no script img

Der Zusammenhang zwischen Krise und Besatzungspolitik

Was die Besatzungspolitik in der Westbank und im Gaza-Streifen die Israelis kostet: Wachsende Militärausgaben, sinkende Exporte - und politische Polarisierung  ■  Von Amos Wollin

Nach eigenen Angaben hat die israelische Armee in den ersten beiden Intifada-Jahren 1988/89 nahezu eine Milliarde Schekel oder 500 Millionen Dollar für ihre Einsätze in den besetzten Gebieten ausgegeben. Das gegenwärtige dritte Jahr soll den israelischen Steuerzahler weitere 450 Millionen Schekel kosten. Auch dabei handelt es sich lediglich um sogenanntes „Intifada-Geld“ für die Armee.

Am 28.Dezember 1989 wies ein hoher Militär-Sprecher in Tel Aviv darauf hin, daß die bisher ausgegebenen „Initifada -Gelder“ (wie er betonte: nicht nur für Kugeln, sondern für die Aufrechterhaltung und die Erweiterung von Internierungslagern mit vielen tausend palästinensischen Gefangenen) vom Finanzministerium noch nicht zurückerstattet worden seien.

Falls die Rechnung weiter offen bleibe, warnte der Sprecher, werde die Armee „ihre Vorbereitungen für den nächsten Krieg einschränken müssen“. Wenn das Militär keine neuen Waffensysteme entwickeln, keine neuen Truppen ausbilden und verbrauchte Vorräte nicht ersetzen könne, sei der nächste Krieg zwar immer noch zu gewinnen, „aber der Sieg wird Israel viel teurer zu stehen kommen. Israels Position in den Verhandlungen, die einem Krieg folgen würden, wäre geschwächt, und schließlich sind die Israelis heute auch nicht mehr bereit, so hohe Verluste zu tragen wie bei früheren Konflikten.“

Zwar habe die neue Sowjetrepublik die arabischen Staaten gezwungen, eine Beilegung des Konflikts mit Israel ins Auge zu fassen; „aber nur die Erkenntnis, daß Israel unbesiegbar ist, und daß es den arabischen Staaten nie gelingen kann, das Wettrüsten mit Israel zu gewinnen, wird die arabischen Feinde dazu bringen, friedliche Alternativen in Erwägung zu ziehen“ (Soweit der Militärsprecher).

Militärische Einheiten, darunter Elitetruppen mit „berühmten Namen“ und Reservisten aller Alterskategorien, müssen zum Dienst in den besetzten Gebieten antreten. Dies finden immer weniger Leute verlockend und akzeptabel. Die Zahl der (100) demonstrativen „Jesch Gvul“ Dienstverweigerer (in besetzten Gebieten) ist nicht wesentlich gestiegen, aber es ist bekannt, daß es weitaus mehr Reservisten gibt, die sich stillschweigend mit den Militärbehörden arrangieren, um andernorts eingesetzt zu werden. Bei „anti-insurgency“ und Polizeiaktionen setzt man sich heute zu vielen Gefahren aus. Man weiß nie, wie das ausgeht und die Risiken werden zahlreicher. Was früher als Routine galt (wie z.B. das Brechen von Beinen und Armen bei Gefangenen), kann jetzt nachträglich zu Gerichtsverfahren führen, - wenn sich Opfer oder ihre Verwandten mit Hilfe von Rechtsanwälten zur Wehr setzen.

Die Zahl der mysteriösen Todesfälle in den Zellen der Geheimdienste nimmt zu, und die von den Familien der Opfer zugezogenen Pathologen aus Amerika oder Großbritannien widerlegen die amtlichen Obduktionsbefunde über angeblichen Selbstmord oder natürliche Todesursachen und weisen auf schwere Mißhandlung hin. In besonders krassen, öffentlich bekanntgewordenen Fällen zwingen Menschenrechtsorganisationen in Israel die Militärbehörden, Gerichtsverfahren gegen Angehörige der Armee einzuleiten. Dabei werden immer wieder entsetzliche Details bekannt.

Oft stellt sich auch heraus, daß hohe Offiziere und ihre Instruktionen für Mißhandlungen verantwortlich sind, für die Unteroffiziere und einfache Soldaten vor Gericht stehen. All das schafft böses Blut und untergräbt Moral und Disziplin der Armee. Meinungsumfragen weisen auf zunehmende Brutalisierung und antiarabischen Rassismus vor allem bei jungen Leuten (bis 30) hin. Andererseits gibt es aber auch mehr Abscheu vor Exzessen und eine sich langsam aber deutlich durchsetzende Erkenntnis, daß Israels Verhandlungspartner die PLO ist.

Die Kosten der Intifada sind im wirtschaftlichen Bereich viel bedeutender als im militärischen. Nach Aussage des Finanzministers Schimon Peres (14.1.1990) kostet die Intifada die Wirtschaft Israels dreimal so viel wie die damit verbundenen Militärausgaben. Der Intifada-Boykott israelischer Produkte in den besetzten Gebieten hat erheblich zu einer Verschärfung der israelischen Wirtschaftskrise beigetragen. Die Arbeitslosenquote liegt bei zehn Prozent. Am schlechtesten sind die Lebensmittel und die Textilindustrie dran. Sie setzen jetzt nicht nur viel weniger ab, sondern haben auch infolge der Streiks der Palästinenser Verluste (Palästinenser aus den besetzten Gebieten verdienen ungefähr halb so viel wie Israelis). Auch Israels Bauindustrie, die vor allem billige Palästinenser beschäftigt, bekommt die Streiks in den besetzten Gebieten zu spüren. Wegen der Masseneinwanderung von sowjetischen Juden, die jetzt erwartet wird, versuchen die Baufirmen den Mangel an billigen Arbeitskräften fürs erste mit Bauarbeitern aus Polen, Jugoslawien, Portugal zu überbrücken. Außerdem sollen in Zusammenarbeit mit amerikanischen Investoren modernere, weniger arbeitsintensive Baumethoden eingeführt werden.

Schwer gelitten hat auch der Tourismus. Nach Aussage eines Beamten der Bank of Israel im Mai 1989 hat die Intifada im Jahre 1988 ungefähr 650 Millionen Dollar an Exportverlusten gebracht - davon 280 Millionen durch das Ausbleiben von Auslandstouristen. Er sprach von weiteren „schwer kalkulierbaren Verlusten wegen des Klimas der Unsicherheit, das durch die Intifada hervorgerufen wurde und Investoren abgeschreckt hat. Sie wollen ihr Geld jetzt nicht in die israelische Wirtschaft stecken.“ Die Bank of Israel spricht weiterhin von einem 40prozentigen Rückgang des Exports in die besetzten Gebiete - als Resultat des Boykotts israelischer Produkte während der Intifada. Nach Aussage des Industrieministers Ariel Scharon hat der Verkauf israelischer Produkte in die besetzten Gebiete im ersten Intifada-Jahr wie folgt abgenommen: Sechzig Prozent weniger Agrarprodukte, 18 Prozent weniger Textilien, elf Prozent weniger Plastikprodukte.

Gleichzeitig ist es zu einem 48prozentigen Rückgang des Exports von palästinensischen Produkten nach Israel gekommen. Dienstleistungen (vor allem Arbeit), die Israel aus den besetzten Gebieten bezog, sind von 670 Millionen Dollar (1987) auf 640 Millionen Dollar im Jahre 1988 und im Jahre 1989 noch weiter abgesunken. Laut Jossi Beilin, dem stellvertretenden Finanzminister, kostet die Intifada zwei Prozent des israelischen Bruttosozialprodukts pro Jahr.

Der Minister für Kommunikation Gad Jakobi (Arbeiterpartei) berechnet die israelischen wirtschaftlichen Verluste im ersten Intifada-Jahr mit 1,5 Milliarden Schekel. Gleichzeitig verbuchen palästinensische Firmen in den besetzten Gebieten ein 30- bis 50prozentiges Ansteigen ihres Absatzes in Westbank und Gaza-Streifen. Trotzdem haben die Einschränkungen und geringeren Verdienste seit Beginn der Intifada zu einem 50prozentigen Rückgang des palästinensischen Lebensstandards geführt. (Quelle: Ramallah Chamber of Commerce im Februar 1989). Zu den Hauptgründen für das drastische Sinken des Lebensstandards gehört allerdings der wirtschaftliche Kampf, den Israel zur Unterwerfung der palästinensischen Gebiete führt und der Fall des jordanischen Dinars, der die Hauptwährung in den besetzten Gebieten ist. 1989 ist der Dinar um 50 Prozent gefallen.

Im allgemeinen verbinden Israelis die Wirtschaftskrise der beiden letzten Jahre jedoch nicht mit der Intifada. Es ist jetzt gerade Finanzminister Peres, der auf den Zusammenhang zwischen Krise und Nahostkonflikt hinweist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen