Parlamentswahlen in Japan vorgezogen

Kaiser Akihito dekretierte die vorzeitige Parlamentsauflösung / Spannendster Wahlkampf der Nachkriegsgeschichte steht bevor / Wahlen am 18.Februar / Sieg der herrschenden Liberal-Demokratischen Partei steht keineswegs fest / Sozialistische Partei im Aufwind  ■  Aus Tokio Georg Blume

„Es geht um den Sturz der Einparteien-Diktatur“, proklamiert Japans mächtiger Gewerkschaftsboß Yamagichi am Mittwoch in Tokio. „Die wahre Entscheidung bei dieser Wahl fällt zwischen der freien Marktwirtschaft und dem Sozialismus“, kontert Japans noch mächtigerer Arbeitgeberpräsident Saito am gleichen Tag. Das klingt, als stünde Nippon endlich vor dem politischen Showdown, als seien die Fronten klar und die Ideen transparent, als stünde die große Entscheidung bevor. Alles andere ist der Fall, aber eines weiß man nun: Am 18.Februar wird in Japan gewählt.

Auf Wunsch der Regierung befahl Japans Kaiser Akihito gestern die Auflösung des Tokioter Unterhauses, der zweiten Parlamentskammer, die Politik, Regierung und Gesetze der Nation bestimmt. Noch am gleichen Nachmittag rief die Regierung den neuen Wahltermin aus und legte den offiziellen Wahlkampfbeginn auf den 3.Februar fest. Die reguläre Legislaturperiode von vier Jahren wäre erst im Juli vorüber gewesen. Der Februartermin soll auch deshalb bestimmt worden sein, um die Wahlen noch vor der Haushaltsdebatte zu veranstalten, die bis April abgeschlossen sein muß. Den Terminplan hatten die Fraktionsvorsitzenden der Japan seit 35 Jahren alleinregierenden Liberal-Demokratischen-Partei (LDP) bereits im vergangenen Jahr aufgestellt.

Erstmals in der japanischen Nachkriegsgeschichte war es dem amtierenden Premierminister gestern nicht gewährt, eine politische Grundsatzrede vor der Auflösung des Parlaments zu halten. Erstmals erhielten damit auch die Oppositionsparteien nicht die Chance, vor Neuwahlen ihre Gegenpositionen vor dem Parlament zu äußern. So hatten es die LDP-Oberen befohlen. Damit verstießen sie nicht nur aufs gröbste gegen die bescheidene demokratische Tradition des Landes. Gleichzeitig verweigerten sie dem derzeitigen LDP -Vorsitzenden und Premierminister Toshiki Kaifu die Führerschaft im Wahlkampf. Schon ist deutlich, daß Kaifu muß er bei der Wahl auch nur geringe Einbußen hinnehmen, was absehbar ist - den Chefsessel so schnell wie möglich räumen soll. Es gehört nicht gerade zum feinen demokratischen Stil, dem Volk einen Kandidaten fürs höchste Regierungsamt zu präsentieren, dessen Abwahl durch die eigene Partei bereits vorprogrammiert ist.

Nicht nur in der Regierungspartei sind die Fronten verwischt. Gestern noch feierten die Führer der drei maßgeblichen Oppositionsparteien (von den Kommunisten einmal abgesehen) den gemeinsamen Willen, die LDP zu stürzen. Währenddessen sind genauen Beobachtern die Anzeichen nicht entgangen, die auf geheime Koalitions-Abmachungen zwischen der LDP und einer der Oppositionsparteien, der kleinen Koumei-Partei, hindeuten - für den Fall, daß die LDP tatsächlich ihre absolute Mehrheit verliert. So werden die Wähler der Koumei-Partei (bei den letzten Unterhauswahlen immerhin über zehn Prozent) voraussichtlich bewußt getäuscht. Heute wählen sie für die Opposition und merken morgen, daß ihre Stimme doch die Regierung stützt.

Das Erstaunliche ist: Trotz aller politischen Machenschaften, trotz der weiterhin geringen Chancen der Opposition, die LDP an der Regierung tatsächlich abzulösen, steht Japan vor dem spannendsten Wahlkampf seiner Nachkriegsgeschichte. Immerhin hatte es die Opposition unter Führung der charismatischen Sozialistenführerin Takako Doi bei den Oberhauswahlen im letzten Sommer erstmalig geschafft, der LDP ihre Mehrheit in beiden Kammern zu entreißen. Die Gründe für die damalige Unzufriedenheit vieler Japaner haben an Aktualität nichts eingebüßt. Insofern steht über dem Wahlergebnis vom 18.Februar, für das die Umfragen einen knappen Sieg der LDP prognostizieren, ein Fragezeichen. Das ist für Japan völlig neu.