Unverhohlener Antisemitismus

■ Überfall russischer Nationalisten auf liberal westlich eingestellte Moskauer Schriftsteller

Berlin (taz) - Am 19. Januar haben nach einem Bericht der 'Komsomolskaja Prawda‘ rechtsgerichtete Schläger eine Sitzung des Schriftstellerkollektivs „April“ im Zentralen Haus der Literatur in Moskau gesprengt. In dieser Gruppe haben sich Schriftsteller zusammengeschlossen, die einen aktiven Beitrag für den Erfolg der Perestroika leisten wollen. Nationalistisch orientierte Kräften waren diese Schriftsteller wegen ihres westlich liberalen Gedankengutes, hinter dem sie einen Ausverkauf der nationalen russischen Werte wittern, schon immer eine Dorn im Auge.

Die etwa dreißig Leute trugen das Emblem der informellen Gruppe „Pamjat“ auf ihren Jacken, die einen aggressiven antisemitischen russischen Nationalismus auf ihre Fahnen geschrieben hat. Einer der Schläger, dessen Namen mit Smirnow angegeben wurde, soll dabei ins Mikrophon gebrüllt haben: „Wir sind die Herren des Landes, ihr seid die Bastarde. Ihr Juden und Freimaurer habt mit den russischen Schriftstellern nichts gemein und könnt verschwinden. Ihr jüdischen Genossen unter den Schriftstellern geht in den Kleinen Saal, wo wir eure Personalien aufnahmen werden. Keine Miliz, kein KGB, keine Partei wird euch helfen. Jetzt werden wir die Herren des Landes sein.“ Für das nächste Mal kündigten sie an, mit Maschinengewehren zu kommen.

Dem Dichter und Sänger Bulat Okudschawa, der versucht hatte, die Randalierer zu fotografieren, wurden die Arme auf den Rücken gedreht. Seinem Kollegen Anatolij Kurtschtkin zerschlugen sie die Brille und verletzten ihn am Auge. Die zu Hilfe gerufene Miliz erschien erst nach einer halben Stunde. Sichtlich unwillig soll sie die Rechtsradikalen aus dem Sall gedrängt und sie draußen sofort wieder freigelassen haben. Als Augenzeugen danach auf der Milizstation erschienen, fanden sie dort nur vier Festgenommene, die sich bei der Schlägerei zurückgehalten hatten. Ein Milizionär meinte auf Nachfrage eines Schriftstellers: „Wir kennen euch nicht, aber dafür kennen wir die Kulturgesellschaft Pamjat gut.“

Es scheint ziemlich unwahrscheinlich, daß diese Aktion ohne Abstimmung mit einflußreichen Vertretern des Allrussischen Schriftstellerverbandes erfolgt ist, der sich dem Kampf gegen die „jüdische Freimaurerei“ verschrieben hat. Schon in der vergangenen Zeit hatte sich der Pamjat durch einen aggressiven Antisemitismus hervorgetan, allerdings noch keine offenen Gewalttaten begangen. Aus dem Schulterschluß zwischen angesehenen allrussischen Schriftstellern und der Pamjat kann sich eine brisante Konstellation ergeben, die der Gruppe zu noch mehr Popularität verhilft.

Sonja Margolina