Reforger-Manöver '90:Wo ist der Feind?

Alle Jahre wieder: Die USA fliegen Soldaten über den Atlantik undüben mit der Bundeswehr die Abschreckung  ■  Von der Truppe Erwin Single

„Manöver dieser Art sind sinnlos und nicht mehr zu rechtfertigen“, sagt Hans Graef, Sprecher der Schwäbisch Haller Friedensgruppen zur derzeit in Süddeutschland laufenden „Reforger„-Übung. „Es gibt den Feind nicht mehr, gegen den hier geübt wird.“ In den Dolan-Barracks, einem Hauptquartier der Militärübung, denkt freilich niemand ans Aufhören. „Ein Verzicht wäre absolut falsch“, betont Fregattenkapitän Eberhard Ukatz. „Im Osten haben sich zwar die Absichten geändert, aber das militärische Potential ist nach wie vor da.“ Er setzt dabei auf seine Erfahrung: nicht zuletzt der Nato-Doppelbeschluß habe gezeigt, daß „nur eine konsequente Haltung der Nato vom Osten honoriert wird“. Die Entwicklung im Warschauer Pakt hat er zwar ausdrücklich begrüßt, aber: Was ist, wenn Gorbatschow stürzt? Man müsse für alle Fälle gerüstet bleiben. Und das heißt für die Militärs in erster Linie, über ausgebildete und einsatzbereite Landstreitkräfte zu verfügen. Der militärische Auftrag der „Abschreckung“ bleibt unverändert.

Mit zwei Demonstrationen und Kundgebungen protestierten die hohenlohischen KriegsgnerInnen gegen die winterliche Nato -Übung. Etwa 250 BürgerInnen zogen vergangenen Samstag vor die Tore der McKee-Kaserne in Crailsheim; eine gleich große Gruppe hatte sich eine Woche zuvor vor den Dolan-Barracks in Hessental bei Schwäbisch Hall versammelt. Mit Transparenten wie „Kriegsspiele gegen Dresden, Warschau und Prag“ forderten sie den sofortigen Abbruch des Manövers. Schützenhilfe erhielten sie von den Grünen, SPD -Landtagsabgeordneten, dem FDP-Fraktionsvorsitzenden Walter Döring und vielen Friedensgruppen und Bürgerinitiativen. Bei dem Manöver „Reforger“ („return of forces to Germany“), das zum 21.Mal stattfindet, wird alljährlich die Rückverlagerung von US-Truppen aus Nordamerika in die Bundesrepublik geübt. 15.000 eingeflogene US-Soldaten ziehen zusammen mit weiteren 45.000 hier stationierten US-Soldaten in die Gefechtsübung. Auch 2.500 Bundeswehrsoldaten sind bei dem Manöver mit dem imperialen Namen „Cennturion shield“ mit von der Partie.

Weil die Militärs angesichts der jüngsten Ereignisse in Osteuropa stark unter Rechtfertigungsdruck geraten sind, wird alles unternommen, um die Akzeptanz des Manövers zu erhöhen. So wird bei Reforger '90 in diesem Jahr auf eine großangelegte Feldübung weitgehend verzichtet. Statt alle Soldaten einer Einheit samt kompletter Ausrüstung ins Gelände zu schicken, konzentriert man sich bei der Übung mehr auf das Training der Truppenführer und ihrer Stäbe. Das neue Konzept ist Ergebnis einer Studie, die nach den letztjährigen Herbstmanövern „Certain Challenge“ unter der Leitung des Oberkommandierenden der U.S.Armee in Europa, General Crosbie E. Saint, erarbeitet wurde. Kostensparend, umweltschonend und belästigungsminimierend soll das Ganze nun werden. Dabei mag wohl eher die Beschwichtigung der Bevölkerung und aufgebrachten Anwohnern eine Rolle gespielt haben. Bei den Herbstmanövern '88 beliefen sich die Manöverschäden auf 95 Millionen Dollar. Jetzt wurde sogar ein Expertenstab mit Polizeivertretern in die USA geschickt, um dort die Einheiten auf die „besondere Situation“ hierzulande vorzubereiten. Und allen Soldaten gab man eine Fibel zur Hand - „Reforger '90 and you“ lautet der Titel. Darin finden sich Argumente, warum das Manöver auch heute noch zur Abschreckung notwenig sei. Auch Ratschläge, was bei Demonstrationen, Spionage und Terrorismus zu tun ist, können die US-Soldaten dort nachlesen.

Inzwischen haben die Militärs auch eine neue Form für ihre kriegerischen Sandkastenspiele gefunden: „war game“ am Computer. Was nicht mehr auf dem Gefechtsfeld bewegt werden kann, wird nun simuliert. Die Feindlage-Experten stehen im Talheimer Sportheim, einem von sechs Simulationszentren, vor den Terminals. Die Computer sind gespeichert mit Informationen über die Kampfstärke der einzelnen Truppenverbände und deren Bewegungen sowie mit Wetter- und Geographiedaten. Von dort werden die echten Truppen im Feld über den Gegner informiert. Über Angriff oder Rückzug entscheiden die Befehlshaber am Schaltpult. Die Computer haben den Test bestanden, erklärte General Saint, „auf diesem Weg machen wir weiter“.