Abschreckungspolitik für Sitzblockierer

■ In einem beispiellosen Revisionsverfahren wegen des Aufrufs zur Blockade sollen 55 UnterzeichnerInnen die Schuld von vier Angeklagten beweisen

Mainz (taz) - Die Mainzer Justiz geht mit neuer Strategie gegen Sitzblockierer und deren Unterstützer vor: Im Revisionsverfahren wegen eines Blockadeaufrufs für die Cruise-Missile-Basis Hasselbach 1987, dessen erster Prozeßtag heute beginnt, hat das Mainzer Landgericht 55 ZeugInnen geladen. Mehr als zehn Verhandlungstage sind insgesamt angesetzt, ein Mammutprozeß mit Riesenkosten, die im Falle eines Schuldspruchs zu Lasten der Angeklagten gehen. Eine neue Strategie der Abschreckung.

Staatsanwalt Carsten Schröder vom „politischen Dezernat“ wirft den vier angeklagten Frauen und Männern vor, sie hätten gemeinsam öffentlich zur Straftat aufgerufen, genau gesagt, zur Nötigung durch eine Sitzblockade. Ihre Namen standen als ErstunterzeichnerInnen auf dem Hasselbacher Blockadeaufruf - maschinengeschrieben, nicht handschriftlich. Strittig ist allerdings, wie sie dahin kamen.

Schon zu Beginn des Prozesses hegt Richter Peter Weisemann kaum Hoffnungen auf einen rechtskräftigen Freispruch. Selbst wenn er die Angeklagten freispräche, erklärt er stirnerunzelnd, so könnte der Staatsanwalt ohne weiteres wieder in die Berufung vors Oberlandesgericht (OLG) Koblenz gehen. Dieses OLG aber duldet, so die Erfahrung, keine rechtlichen Freisprüche in Sachen Militärblockade, schon gar nicht aus Mangel an Beweisen.

So hatten denn auch die Oberlandesrichter im vorliegenden Fall den Freispruch des Landgerichts Bad Kreuznach kassiert. Das OLG überantwortete die Sache zur Neuentscheidung nach Mainz, wo selbst Staatsanwälte hinter vorgehaltener Hand die ewige Blockade-Prozessiererei als „schlimme Sache“ kritisieren.

Das OLG indessen stört dies wenig. Die Schuld der vier Angeklagten würde sich schon beweisen lassen, so seine Devise. Man müsse nur gründlich genug recherchieren sprich: viele Zeugen vernehmen. Richter Wiesemann dagegen würde den Aufwand gerne vermeiden. Er sähe lieber einen kurzen Prozeß und drängelt regelrecht auf ein frühes Geständnis: „Die Verfahrenskosten, die da auf Sie zukommen, stehen in keinem Verhältnis mehr zu den Geldstrafen.“

Das schüchtert ein. Eine der Angeklagten, die arbeitslose Grundschullehrerin Marlies Altenhofen (37), verheddert ihre Sätze, während Schröder sie befragt. Auch ihr Name tauchte im Hasselbach-Aufruf auf. Wie - das kann sie sich nicht erklären. Sie macht keinen Hehl daraus, daß sie wegen einer anderen Blockade bereits verurteilt wurde und die Geldstrafe auch zahlte. Doch an eine Zusage, ihren Namen auf den Hasselbach-Aufruf zu setzen, kann sie sich nicht erinnern. Der Ankläger: „Wissen Sie, als Staatsanwalt bin ich da ein bißchen skeptisch.“ Warum sie denn nicht schon bei den Ermittlungen ausgesagt habe, daß sie nicht wisse, wie denn ihr Name in die Aufrufsliste kam?

Schröders Anklagevorwurf der Anstiftung zur Nötigung geht weit. Zu weit - zieht man die Urteilsbegründung des Landgerichts Bad Kreuznach in einem ähnlich gelagerten Fall in Sachen Hasselbach-Aufruf heran (Az.: 4 Js 1562/1988 Cs Ns):

-Nach Meinung der Kreuznacher Richter können die UnterzeichnerInnen, wenn überhaupt, nur wegen „Beihilfe zur Straftatenaufforderung“ belangt werden, die „Täterschaft“ selbst „scheidet aus“, weil „die Angeklagten weder objektiv noch subjektiv die Urheber des Aufrufs“ waren.

-Die Angeklagten seien 1987 ferner einem „Verbotsirrtum“ unterlegen, da sie die Blockade, zu der aufgefordert wurde, „nicht für strafbar hielten“.

-Der Kreuznacher Richter von Tzschoppe wies überdies darauf hin, daß die Angeklagten „ihre Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit... nur im Hinblick auf die von ihnen höherrangig eingestuften Gebote des christlichen Glaubens sowie der Sittlichkeit und Moral zurückgestellt haben“.

Auch Wiesemann ist zum Einlenken bereit - auf seine Art: Er hält es durchaus für möglich, daß die vier Namen ohne Wissen der Beschuldigten auf dem Aufruf erschienen.

jow