Razzien in Aserbaidschan

■ Mit Festnahmen und Durchsuchungen versuchen die Militärbehörden, die Lage zu stabilisieren / Alle Betriebe sind durch einen Generalstreik lahmgelegt

Moskau (dpa/ap) - Mit einer Welle von Festnahmen und Verboten haben die sowjetischen Militärbehörden versucht, wieder Herr der Lage in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zu werden. Bei Razzien gegen inoffizielle Organisationen sind laut 'Tass‘ gestern 43 Personen festgenommen und zahlreiche Vervielfältigungsgeräte beschlagnahmt worden. Unterdessen hat der Streik alle Betriebe der Stadt lahmgelegt, und kleinere Boote und Schiffe blockieren die Hafenausfahrt von Baku. Die Nachrichtenagentur des Landes 'Aserinform‘ meldete zudem, auch Rundfunk und Fernsehen seien in den Ausstand getreten. Das Radio verbreite lediglich offizielle Verlautbarungen.

Radio Moskau berichtete, Gespräche zwischen den Führungen der aserbaidschanischen und armenischen Sowjetrepublik über die Beendigung der Auseinandersetzungen dauerten an. Man rechne allerdings nur mit geringen Fortschritten.

Die sowjetischen Behörden begründeten ihr Vorgehen gegen die inoffiziellen Organisationen damit, daß diese für die blutigen Auseinandersetzungen in der Region allein verantwortlich seien. Laut 'Aserinform‘ hätten sich die Razzien aber nicht gegen die Aserbaidschanische Volksfront gerichtet, die von den Republiksbehörden vorher in erster Linie kritisiert worden seien. Bei 'Tass‘ hieß es dagegen, das „Nationale Verteidigungskomitee“ der Volksfront und seine Formationen seien verboten worden. Ebenso wurden Streiks und Demonstrationen untersagt, Zuwiderhandlungen werden mit Haftstrafen bis zu 30 Tagen geahndet.

Die Bevölkerung hat sich davon am Mittwoch jedoch nicht einschüchtern lassen. Am Dienstag hatten sogar einige Tausend aserbaidschanische Milizionäre in Baku gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen demonstriert und angedroht, sie würden sich nicht mehr dem sowjetischen Innenministerium unterstellen. Sie sollen sich demonstrativ die sowjetischen Abzeichen von den Mützen gerissen haben.

Nach einem weiteren Bericht aus Aserbaidschan ist die Versorgungslage in Baku kritisch geworden. So seien Engpässe bei Brot und Benzin entstanden.

Der stellvertretende Direktor der serbaidschanischen Nachrichtenagentur Perez bestritt - im Widerspruch zu Berichten von Radio Moskau - Meldungen, nach denen der Oberste Sowjet Aserbaidschans ultimativ mit dem Austritt der Republik aus der UdSSR gedroht habe. Für den Mittwoch sei keine Sitzung des Parlaments geplant, sagte er. Das angebliche Ultimatum wäre in den frühen Morgenstunden des Mittwoch abgelaufen.

Indessen hat die aserbaidschanische Parteiführung ihren früheren Ersten Sekretär, Abdul-Rachman Wesirow, aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Wie der Bakuer Journalist Nasim Ragimow 'dpa‘ telefonisch berichtete, faßte das ZK der Partei diesen Beschluß am Morgen. Wesirow war Fortsetzung auf Seite 2

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nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Baku am vergangenen Samstag von seinem Posten abgesetzt worden. Als Begründung für den Parteiausschluß wurde nach Ragimows Worten angeführt, Wesirow sei für den Einmarsch der

Truppen mitverantwortlich. Ihm drohe nun ein Ermittlungsverfahren. Ein Mitglied einer selbsternannten Untersuchungskommission berichtete, in Baku lebende Russen setzten sich ab, obwohl für sie keine reale Gefahr erkennbar sei.