Popmusik für Erwachsene

■ Von der Entzugserscheinung, wenn der Kopf tanzt und der Bauch schweigt

Ehrlich, ich bin sie müde, die Popmusik. Mit Beatles, Stones und Kinks aufgewachsen, als rettungsloser DEADHEAD unwiderruflich und unkritisch den kalifornischen „Greatful Dead“ verfallen, öden sie mich plötzlich nur noch an, die jugendbewegungsfixierten Töne der Hitkonzerne. Zwei Jahre einschlägige Arbeit für die TAZ, das Nachmittagsprogramm von RB 4 und nicht zuletzt das unendliche Gedudel von Bros und Konsorten über die Plattenspieler unserer Kinder - der jüngste, er kann noch nicht schreiben, läßt sich, „laß mich dein Sklave sein“, lieber von den „Ärzten“ als von väterlichen Vorlesegeschichten in den zu späten Schlaf wiegen - das alles hat mich aus dieser doch so allgegenwärtigen Gefühlswelt fallen lassen, die die Älteste, 13, lakonisch mit einem unwiderruflichen Fazit belegt:„Du wirst alt.“ Ich grinse hämisch, weil ich ja weiß, im Gegensatz zu ihr, daß sie, die Bros-Mieze, in zwei Jahren auf Hip-Hop stehen wird, falls es den dann überhaupt noch gibt, doch das ist eher unwahrscheinlich, denn im Grunde ist das doch die gleiche Sch...

Aber halt, da fällt mir doch gerade noch rechtzeitig ein, mit welchem unschönen Wort mein Vater einst mein geliebtes „Satisfaction“ abgekanzelt hat. Damals war ich 12, oder 13. Sie hat ja so recht, die Kleine, klug ist sie, und ich rauche eine Zigarre, entspanne, höre Tchaikowskis Number One, Jerry Garcias subtiles Gitarrenspiel... Es ist nicht dasselbe. Es tanzt der Kopf, doch der Bauch schweigt. Nach einigen Tagen ist es so wie nach wochenlanger vegetarischer Vollwertkost: Ich muß dann zu McDonalds. Heimlich, versteht sich. Ich schleiche in den Plattenladen. Die Verkäuferin kennt mich, aus ihrer Videothek leihe ich mir die B-Movies, die sich im Kino keiner mit mir ansehen will. „Popmusik“, flüstere ich,„für Erwachsene“. Sie versteht auf Anhieb und zieht aus dem Regal lächelnd ein buntschillerndes Cover hervor. „Tears for Fears“ steht da, „Sowing the Seeds of Love“.

Was soll ich sagen: Meine Kleine Musikwelt ist wieder in Ordnung seit jenem Tag. Ich schwelge in opulent arrangierten Balladen, erschauere unter einem machtvoll produzierten Elektroniksound, „Woman in chains“ und ein bißchen Frieden. Und lausche ergriffen der bemerkenswerten Stimme von Roland Drzabel. Bin ich allein, dröhnt mir mit 100 Phon der einzige Rocksong der Platte um die Ohren: „Year of the Knife“. Wunderschön, diese LP.Sie gehört, mit Verlaub, zum Interessantesten, was ich mir in letzter Zeit in dieser Hinsicht zugemutet habe. Das Schönste: Ich habe Grund zur Vorfreude. Am 11.März spielen Tears for Fears in der Stadthalle. Die Älteste will nicht mit. „Keine Lust“, sagt sie. „Wenn du mal Karten für Bros hast...“ Rainer Köste