„Wir leben nur noch in Scheiße und Dreck“

■ Die Dorfbewohner rund um die Mülldeponie Schöneiche machten ernst: 43 große Laster mit Westberliner Abfällen blieben in einer von ihnen organisierten Blockade stecken und mußten umkehren / Reportage aus Schöneiche

Es sind zwei richtige Ungetüme: ein grauer Laster vom Typ W50 und ein dunkelgrüner vom Typ G5. Normalerweise transportiert W50 Futtermittel und G5 ist ein Werkstattwagen, beide vom „LPG Pflanzenproduktion Mittenwalde“. Heute werden die beiden Fahrzeuge völlig zweckentfremdet: Anstatt zu fahren, stehen sie anderen im Weg. Vor dem Tor der Mülldeponie Schöneiche sorgen sie dafür, daß 43 Mülltransporter unverrichteter Dinge und voll beladen wieder dorthin zurückkehren müssen, wo sie hergekommen sind: nach West-Berlin. „Die waren ganz entsetzt“, lacht der Schöneicher Wolfgang Ramin, „daß auch die Westberliner Laster nicht reinkommen.“

Eigentlich hatte die Senatsfirma Berlin Consult (BC) gestern dem Senat versichert, daß nur die westdeutschen Transporter blockiert würden, die Klärschlamm von Hoechst aus Hessen und von Dow Chemical in Stade nach Schöneiche bringen. In Verhandlungen mit Gemeindevertretern sei das erreicht worden, hatte die BC dem Senat versichert, den am Mittwoch eine taz-Meldung über die geplante Blockade aufgeschreckt hatte. Wolfgang Ramin ist Gemeindevertreter in Schöneiche und von Verhandlungen weiß er nichts. Eigentlich hatten die Deponie-Nachbarn gegen Mülltransporte bisher nichts einzuwenden; man sei nun mal das „natürliche Umland“. Aber wenn es sich für die Hessen lohnt, ihren Müll bis in die Umgebung Berlins zu transportieren, argumentiert Ramin, - „dann kann man doch sicher auch den Westberliner Müll nach Westdeutschland fahren“.

Die Dörfler haben sich nicht einwickeln lassen, und deshalb können die zwei Verkäuferinnen in dem kleinen Intershop vor der Deponie heute eine ruhige Kugel schieben. Seit jeher decken sich hier die Müllkutscher aus dem Westen mit billigen Zigaretten und Schnaps ein. Daß der Valuta-Laden nun - nämlich seit dem 9. November - auch für die Bewohner der anliegenden Nester Kallinchen, Schöneiche und Gallun offen steht, ist so ziemlich der einzige Erfolg, den die Deponie-Anwohner bisher verbuchen konnten. Auf einen Protestbeschluß, den die Gemeindeparlamente der Dörfer Mitte Dezember an Ministerpräsident Modrow und die Behörden von Kreis und Bezirk geschickt hatten, gab es „bis jetzt keine Reaktion“, klagt der Schöneicher Gemeindevertreter Wolfgang Ramin.

„Wir leben nur in Scheiße und Dreck“, sagt Jutta Goltz, ebenfalls aus Schöneiche. Immer schon hat sie sich über die Mülltransporter geärgert, die alle paar Minuten durch den Ort donnern und Gartenzäune, Fenster und Fassaden mit Dreck und Schlamm bespritzen. Erst in den letzten Wochen haben die insgesamt 1.500 Einwohner der drei Dörfer erfahren, daß auch das Trinkwasser bedroht ist, das sie in privaten Brunnen aus dem Boden pumpen. Vor allem entlang der fast 90 Jahre alten Deponie Schöneicher Plan, auf der der Müll aus Ost-Berlin landet, haben giftige Sickerwässer das Grundwasser belastet; „gravierende Belastungen“ hat die Gewässeraufsicht aber auch in der Nähe der Westmülldeponie festgestellt.

Ihr fünfjähriger Enkel durfte das Schöneicher Wasser noch trinken, erregt sich Jutta Goltz. Aber vor der Geburt ihrer neuen Enkelin vor einem Jahr gab es einen Sperrvermerk der Kreishygieneinspektion: Das Wasser sei für Kleinkinder ungesund. Warum? Das hat sie nie erfahren. Umweltdaten waren bis zum 2.November geheim.

Solche Geschichten beweisen für Günter Moegelin, im Deponiebetrieb zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, daß die aufgebrachten Bürger einfach „nicht objektiv“ sind. Schließlich fließt das Grundwasser unter dem bis zu 22 Meter hohen und 125 Hektar großen Müllberg gar nicht in Richtung Schöneiche. Daß es statt dessen auf die Brunnen der nördlich benachbarten Orte Gallun und Mittenwalde zuläuft, verschweigt der PR-Mann. Bis vor kurzem war er der SED -Parteisekretär des Deponiebetriebs. Was die Dörfler von der Politik des SED-Ministerpräsidenten Modrow halten, haben sie auf ein Transparent geschrieben: „Für Vertragsgemeinschaft, gegen Müllkumpanei“.

hmt