SPRECHEN UND WIEDERHOLEN

■ Ausdruckssucht im Künstlerhaus Bethanien

In Peru taucht Europa nur in den Versatzstücken seiner Unterdrückungsmechanismen auf; man könnte vielleicht sagen: als Symbol, das in seiner griechischen Bedeutung, als Symbolum, ein Bruchstück als Versprechen einer immer schon auseinandergebrochenen ursprünglichen Einheit bezeichnet. Das Symbol selber ist europäisch; die Azteken beispielsweise waren tatsächlich davon überzeugt, daß die Sonne nicht mehr aufgehen würde, wenn ihr kein Menschenblut geopfert werden würde. Ihre Opferhandlungen hatten so nichts mit einem symbolischen Akt zu tun. Die Peruaner mußten erst in zwei Hälften geschnitten werden - wie im platonischen Mythos, in dem die halben Menschen, die Zweibeiner, Symbol ihrer verlorengegangenen Einheit sind - um der Symbolisierung fähig zu werden. Die Inkakultur ist vernichtet, die europäisierte Kultur, in der die Peruaner notwendig zu leben haben, ist dekadent. Als Symbol selber Produkt der ihnen angetanen Gewalt, sind sie gezwungen, in den Symbolen der katholischen Kirche das, was als Sündenfall im Christentum nur in seinen Konditionierungen konkret wird, als wirkliche Geschichte zu wiederholen. Unter Anleitung eines Europäers Psotta - wiederholen und dramatisieren die Künstler die ihnen angetane Gewalt in Ritualen, Aktionen, Performances. Die Wiederholung wird zur Therapie, sei sie nun psychoanalytisch, masochistisch, wie auch immer. Ihre Sehnsucht nach Sprache findet so ihren Ausdruck in der Sprache, in den Symbolen, die die Macht in ihre Körper eingeschrieben hat: Restlos alle ihre Symbole/Themen entstammen dem Arsenal des Katholizismus: Kreuz, Blut, Priester, Dornenkronen, Messen, Rituale, Tod, Folter, Askese, Ave Marias, Maria; wie auch und massenhaft Phallen, Vaginas, zumeist blutig, rituelle Sexspielchen und so weiter, denn als individualisierter Gegenbereich konstituiert sich das Sexuelle mit all seinen Verkrampfungen erst durch das Christentum. „Das wird man einsehen, wenn man überlegt, daß man, indem man etwas indirekt setzt, das andere setzt, das man ausschließt. Da das Sinnliche überhaupt das ist, was negiert werden soll, so kommt es erst recht zum Vorschein“ (Kierkegaard). Da ihm die Erlösungskraft dessen zugeschrieben wird, von dem es erlösen soll, erscheint es deformiert, aber doch auch katholisch infiziert, wie der katholische Bereich selber von seinem Verdrängten durchdrungen ist.

Die verbotenen Themen dieser Ausstellung spiegeln selber die Form ihrer Therapie. So war die Folter - siehe Foucault, Überwachen und Strafen - vor allem ein Mittel, den Gefolterten zur Sprache zu bringen. Keine Hexe wurde verbrannt, wenn sie nicht zuvor gestanden, das heißt sich als Hexe zu erkennen gegeben hatte. Folter und Hinrichtungen, die im Mittelalter immer auch Volksfestcharakter hatten, wurden später, so Foucault, durch subtilere und erfolgversprechendere Verfahren ersetzt, die aber alle den gleichen Sinn - die Kenntlichmachung des Verhörten hatten. Dieser Zwang sich zu erkennen zu geben wird nun dem Einzelnen als Bedürfnis eingeschrieben; die Wahrheit seiner selbst erfährt er nun von seinem Psychoanalytiker und ist bemüht, sich nach ihr zu verhalten. Die Künstler wollen nun sprechen und zwar gerade von dem, was sie am meisten beschädigt hat. Um davon sprechen zu können, wiederholen sie freiwillig die Beschädigung. Ihr sprechendstes Symbol ist Rosa von Lima, eine Heilige, die sich als Sühne für die Sünden ihrer Stadt selbst zerfleischte.

Die im Bethanien ausgestellte Kunst ist ein Zur-Sprache -Kommen des Unterdrückten. Anders als die Unterdrücker, können nur die Unterdrückten - in diesem Sinne äußert sich der französische Soziologe/Philosoph/Mystiker George Bataille propos Sade - von der Gewalt sprechen, die ihnen angetan wurde. „In der Regel verwendet der Henker nicht die Sprache der Gewalttätigkeit, die er im Namen der herrschenden Macht ausübt, sondern die Sprache der Macht, die ihn anscheinend entschuldigt, die ihn rechtfertigt und ihm eine höhere Funktion verleiht.“ Genau dies zeigt unter anderem auch Shoah; die Worte der KZ-Schergen, sofern sie sich äußern, sind seltsam uninteressiert, verlieren sich in der Architektur und Verwaltung der Lager, während bei den Opfern ein Redestrom losbricht. So gibt es nur die Gewalt der Henker und die Möglichkeit ihrer Versprachlichung im Opfer. In der Wiederholung, die den lebensnotwendigen Affektschutz durchbricht. Nur der Unterdrückte kann so die Gewalt reflektieren - die Scheinreflektion, die phrasenreiche Gedenktagsentschuldigung der Täter ist so immer notwendig obszön, widerlich und Verhöhnung der Opfer.

Und doch bleibt ein schlechter Geschmack nach dem Besuch dieser Ausstellung: die künstlerische Aufarbeitung katholischer Traumata, die in Peru als subversiv gilt, findet in einem Raum - dem protestantischen Berlin - statt, in dem Subversion bestenfalls ein wertsteigerndes Adjektiv unter anderen ist; wie gelungene Technik, was auch immer. Und man sperrt sich gegen dies Arsenal katholischer Obsessionen, weil es nicht die eigenen Obsessionen sind, weil man in ihnen dann doch immer noch - wie im Porno für Anspruchsvolle - „Angel Heart“ - ihre Verherrlichung hindurch spürt; vielleicht auch, weil einem die Distanz fehlt, die souverän mit den eigenen Obsessionen umgehen könnte. Man sperrt sich vielleicht auch, weil einem die Übersetzungsangebote Michael Haerdters - in erfahrenen Worten sprach er von den „dunklen Kammern unserer Seele“, die uns hier vor Augen geführt werden würden - so suspekt sind. Weil die an Gemeinplätzen reiche Rede vom Verdrängten, immer schon eine Rationalisierung darstellt, die die Therapie verunmöglicht. Der Unterschied zwischen Katholizismus und Protestantismus liegt eben in der Kraft seiner Riten und Bilder, liegt in seinen Veräußerlichungen, die, mögen sie auch repressiv sein, dem Unterdrückten eine kollektive Geschichte geben können, in der er sich ausdrücken kann. Dem Protestanten dagegen bleibt nur das Schweigen.

Detlef Kuhlbrodt