Noch ist Berlin Metropole mit Provinzwirtschaft

■ IG-Metall tagte zum Thema „Regionale Strukturpolitik in Berlin - Zukunft der Arbeit“ / Kritik an der bisherigen Berliner Wirtschaftspolitik / Macht Rot-Grün so weiter? / Heinz Dürr, Vorstandsvorsitzender von AEG, ist optimistisch: Berlin ist keine Insel mehr

Alle träumen von der „Metropole Berlin“, aber wird sie wirklich eine werden? Auf der gestrigen Fachkonferenz der IG -Metall „Region Berlin - Zukunft der Arbeit“ versuchten Betriebsräte, Wissenschaftler und Gewerkschafter eine Antwort darauf zu finden. Nein, war die vorherrschende Meinung, die Berliner Wirtschaft ist im Prinzip provinziell. Es gibt keine ausgewogene Branchenstruktur zwischen Industrie, Dienstleistung und Zuliefererindustrie. Investitionsentscheidungen werden nicht in Berlin, sondern in den Konzernetagen in Westdeutschland gefällt. Berlin wurde als „verlängerte Werkbank“ mißbraucht, Forschung und Entwicklung fanden andernorts statt. Manfred Foede, erster Bevollmächtigter der IG-Metall, sprach es aus: „Die Unternehmen haben mit ihren Investitionsentscheidungen das wirtschaftliche Fundament Berlins über Jahre ausgehöhlt.“ Unterstützt werden die Unternehmensentscheidungen durch eine verfehlte Subventionspolitik, die die Verzerrungen der Industriestruktur zementiert, anstatt sie zu beseitigen. Auch der rot-grüne Senat macht dort weiter, wo die Vorgänger aufgehört haben. Zu einem Zeitpunkt, da sich das regionale Umfeld der Stadt grundsätzlich wandelt und damit auch die geopolitische Lage der Stadt, erhält der Senat „das Schlechte, anstatt Neues zu entwickeln“. Notwendig wäre vielmehr, so Foede, eine gezielte Förderung Berlins als Industriestandort, die Entwicklung eines ökologisch verträglichen und human ausgestalteten industriellen Umbaukonzepts für Branchen und Betriebe und die Ausarbeitung von modernen Produktionskonzepten, die die Arbeitsteilung zurücknehmen und die Qualifikationen erhöhen.

In fünf branchenbezogenen Arbeitsgruppen zur Strukturpolitik wurden Anforderungen an Unternehmen, Staat und Gewerkschaften formuliert, die die alten Fehlentwicklungen umkehren könnten. Welche Chancen hat der Standort West-Berlin nach Öffnung der Mauer, wurde gefragt, ist Berlin noch eine Insel oder schon Festland? Geht es mit dem sukzessiven Arbeitsplatzabbau in Berlin weiter wie bisher, die anstehende Entlassung von 200 Nixdorf-Metallern ist ein Beispiel dafür, oder ist mit einer Aufwertung des Standorts Berlin zu rechnen? Auf der abschließenden Podiumsdiskussion mit prominenten Gästen war viel Konkretes nicht zu hören. Tacheles redete allenfalls Heinz Dürr, Vorstandsvorsitzender der AEG: „Ich schätze die Zukunft des AEG- Engagements in Berlin nach dem 9. November positiver ein als zuvor“, erklärte er noch einmal ausdrücklich gegenüber der taz. Abhängig will er die Entwicklung des industriellen Standorts Berlin aber von den weiteren marktwirtschaftlichen Prozeßen in der DDR machen. „Berlin ist keine Insel mehr“, eine Einschätzung die vom Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaft, Hans Heuer geteilt wurde (is'n Ding, der k.). Die Sorge des DGB-Vorsitzenden Michael Pagels, daß ein potentielles Billiglohnland DDR gegenüber West-Berlin ausgespielt werden wird, sieht Dürr nicht, obwohl er zugeben muß, daß die geringe industrielle Fertigungstiefe in West-Berlin „ein Problem ist“. Der Senator für Wirtschaft, Peter Mitzscherling, kündigte an, daß als „vertrauensbildende Maßnahme gegenüber der Industrie“ mit einer kurzfristigen Änderung des Berlinförderungsgesetzes nicht zu rechnen ist, am Ende der Legislaturperiode aber neue Vorschläge auf den Tisch kommen.

ak.