Nachhilfe in Sachen Offenheit-betr.: An den Bundesumweltminister Klaus Töpfer, 5300 Bonn

An den Bundesumweltminister Klaus Töpfer, 5300 Bonn

Sehr geehrter Herr Töpfer, nachdem Sie sich bei der Besichtigung eines atomaren Endlagers in der DDR so erfreut gezeigt haben über die Entwicklung in der DDR, die es sogar jetzt ermöglicht hat, die bisher streng geheimen kerntechnischen Anlagen zu besichtigen, könnte der unvoreingenommene Hörer sich zu dem Urteil verleiten lassen, daß eben jene Offenheit in diesem unserem Lande, der Bundesrepublik, eine Selbstverständlichkeit sei.

Wie ich jedoch aus eigenem Anschauungsunterricht in Sachen Perestroika und Glasnost erfahren mußte, gilt diese Offenheit im Freistaat Bayern nicht. Natürlich weiß ich, daß sich ein Unfall wie in Rußland bei uns gar nicht ereignen kann. Schließlich buchstabiert man Tschernobyl ganz anders als Landshut, und außerdem weiß jedes Kind, daß unsere Reaktorfahrer dank den bekannt strengen Führerscheinvorschriften in der Bundesrepublik einfach „Spitze“ sind, um die Worte unseres Bundeskanzlers zu gebrauchen. Die einsame Spitze unserer Spitze sitzt anscheinend im Kernkraftwerk Isar I in Ohu. Daß bei einem Fahrfehler, wie zum Beispiel am 24.7.89, etwas zu Bruch geht - mein Gott -, wer könnte das verübeln. Aber daß man hinterher gar nicht mehr weiß, auf wieviel Kugellagerkugeln man eigentlich gefahren ist, das gibt zu denken. Bevor ich ein Auto fahre, muß ich mir schließlich auch im klaren sein, wieviel Räder im Normalfall daran sein sollten.

Doch zurück in die niederbayerische Provinz: Schon am 7.8.(!) läßt sich das bayerische Umweltministerium (Dr.Vogl) zu der Stellungnahme hinreißen, daß der Reaktor erst wieder angefahren werden dürfe, „wenn zuverlässig keine Kugel mehr im Kern ist“. Genau einen Monat später nach intensiver, aber leider teilweise erfolgloser Kugelsuche gibt oben erwähntes Ministerium doch die Erlaubnis zum Wiederanfahren des Reaktors. Man muß schon die traditionell guten Beziehungen zwischen der bayerischen Staatsregierung und dem Himmel kennen, um diesen Sinneswandel zu verstehen.

Trotzdem haben sich doch tatsächlich Zweifler an der landesväterlichen Sorge gemeldet. Diverse Elemente im Landtag wollten doch tatsächlich die Gutachten sehen, die zu diesem Vorfall erstellt wurden, wo doch jedermann weiß, daß dort streng geheime Betriebsgeheimnisse zuhauf enthalten sind, und daß die einzige Instanz, mit der solch brisante Fragen wirklich abhörsicher beraten werden können, der weiß -blaue Himmel über der bayerischen Landeshauptstadt ist.

Doch schon nähert sich dieser „Heiligen Allianz“ wieder Unheil, und zwar in Person des leibhaftigen Oberbastlers der Ohuer Reaktorrennfahrer, Eberhard Wild, der am 6.11. wörtlich sagt: „Wir haben nichts gegen eine Freigabe.“ Wasser auf die Mühlen der Häresie! Am 9.11. endlich das klärende Machtwort aus München: Nein! Schon erstens aus Prinzip und zweitens überhaupt.

Auf gut beamtenbayerisch klingt das so: Daß die Gutachten Verwaltungsinterna seien, „sei aus guten Gründen ein allgemeiner Rechtsgrundsatz“, besonders bei der Kernenergie, „wo die Gefahr unseriösen Umgangs mit Fakten besonders groß ist, um in der Öffentlichkeit Verwirrung stiften zu können“.

Sehr geehrter Herr Töpfer, wenn Sie in Ihrem eigenen Stall noch Schäfchen haben, die Nachhilfeunterricht in Sachen Offenheit gebrauchen können, wie wäre es denn dann, wenn Sie gleich noch ein Umweltschutzhilfeabkommen mit der DDR für Bayern aushandeln könnten?

Mit strahlenden Grüßen

Robert Benoist, Mainburg