Mit Rockmusik für die mongolische Perestroika

Die Oppositionsbewegung der Mongolei hat ein Medium: die Musik der Zwei-Mann-Rock-Band „Hongk“ Die kommunistische Führung ist kompromiß- und reformbereit / Mehrparteiensystem nicht ausgeschlossen  ■  Von Mark Fineman

Peking (wps) - „Hongk“ ist es, wofür sich die MongolInnen in diesen Wochen begeistern. Und das Herzstück der Bewegung, die das abgelegene kommunistische Land in Atem hält, heißt Fanjasuren Zorig, ist 27 Jahre alt und Professor des klassischen Marxismus - tagsüber. Des Nachts agitiert er musikalisch gegen die marxistische Führung seines Landes. Komisch aber wahr: und manche Experten fügen noch hinzu, möglich nur in der Mongolei. Ein kleines und so gut wie unbekanntes Land zwischen dem russischen Sibirien und der chinesischen Inneren Mongolei hat ohne großes Aufheben dafür aber um so entschiedener ein Experiment des sowjetischen Reformkurs angesetzt, das mindestens so seltsam ist wie die Worte, mit denen die zwei Millionen BürgerInnen es benennen. „Hongk“, um die LeserInnen nicht länger auf die Folter zu spannen, ist der Name einer Rock-Band. Zorigs Zwei-Mann -Truppe, deren mongolischer Name soviel wie „Klingel“ bedeutet, spielt nun seit Monaten vor ausverkauften staatseigenen Sälen mit markigen Dissidenten-Vocals auf. Ihre Musik ist zur unbestrittenen Hymne der gerade flügge gewordenen Protestbewegung avanciert.

Das mongolische Wort für Perestroika lautet „Shinechiel“. Die Reformpolitik des seit sieben Jahrzehnten engsten Verbündeten im Norden hat auch die Mongolei inspiriert. Und Fanjasuren Zorig ist der bebrillte, selbst-gestylte Chef der „Mongolischen Demokratischen Union“, einer Gruppe mongolischer KünstlerInnen und Intellektueller, die 60.000 AnhängerInnen hinter sich wissen. Nicht allein mit Rockmusik, auch mit dem legendären Dschingis Khan versuchen sie ihre Demokratiebewegung unters Volk zu bringen. All dies im zweitältesten kommunistischen Staat nach der Sowjetunion und in einer Hauptstadt, in der es noch immer eine Lenin -Straße und eine Breschnew-Allee gibt.

Ganz in der Nähe der Kreuzung der Marx- und der Friedensstraße, zu Füßen des Revolutionshelden Sukhe Bator, zeigte sich in den letzten Wochen „Shinechiel“: ungeachtet des Verbots von Sonntagsdemonstrationen. „Es ging nicht ums Grölen oder Jubeln“, sagte einer der befragten Diplomaten, die den Demonstrationen beiwohnten. „Die Leute wollten einfach nur zuhören.“ Was sie von Zorig und den acht anderen Führern vernahmen, war das Echo auf die osteuropäischen Bewegungen. Der Ruf nach einem Mehrparteiensystem wurde laut, nach einer Fünf-Tage-Woche, nach Untersuchungen der stalinistischen Vergangenheit, nach dezentralisierter Ökonomie und der Belebung des privaten Sektors, schließlich die Forderung, den Privilegien, die die Parteifunktionäre 69 Jahre lang genossen hatten, ein Ende zu machen.

Verantwortlich für die mongolischen Zustände machte Zorig bei der letzten Kundgebung am vergangenen Sonntag den Premierminister und seinen Stellvertreter. Allein die Temperaturen zwischen 26 und 30 Grad unter Null machten es kein leichtes Unterfangen, zum Bator-Platz zu gelangen wie auch dort auszuharren. Trotz des gerade zwei Tage zuvor erlassenen Demonstrationsverbots auf dem Platz war keine uniformierte Polizei zu sehen, gab es keine Verhaftungen und machte die Regierung keine Anstalten, die Menge aufzulösen. Statt dessen verkündete die Partei öffentlich, daß sie interne Reformen einleiten werde und der Staatssender berichtete, die Partei werde Sonderprivilegien, wie exklusive Läden, ein Krankenhaus und Erholungsheim aufgeben.

Tatsächlich zeigte sich die herrschende revolutionäre mongolische Volkspartei überaus tolerant gegenüber Zorigs Bewegung. Der 63jährige Präsident und Parteichef, Jambyn Batmonh, nennt sich selbst einen Reformer und gelobte öffentlich, dem Weg Gorbatschows folgen zu wollen. Obschon seine 90.000 Mitglieder zählende Partei die einzig legale ist, gibt es Anzeichen für die Einführung eines Mehrparteiensystems. Die Verfassung verbietet keine Oppositionsparteien, erklärte Terbish Chimeddorg, Sprecher des mongolischen Außenministeriums, gegenüber der ausländischen Presse vergangene Woche.

Beobachter in Peking interpretierten diese Äußerung als ein Anzeichen dafür, daß die Demokratiebewegung eher nationalistisch als oppositionell gesonnen sei. „Es scheint sich hier eher um eine pro-mongolische Bewegung zu handeln als um eine gegen Partei und Regierung gerichtete“, sagte ein Diplomat, der Ulan Bator am Montag verlassen hatte. Dafür spricht auch die ideologische Ausrichtung an einer Symbolfigur wie Dschingis Khan. Noch Jahrzehnte nach der Kommunistischen Machtübernahme, 1921, war der Name des Stamm -Vaters der Nation ein Tabu. Dieser Revisionismus gehörte zu der sowjetisch beeinflußten Säuberung, die zu Verhaftungen und dem Tod Tausender mongolischer Kämpfer, Jäger und buddhistischer Priester führte.

Erst heute erfährt die Jugend - die Mehrheit der Bevölkerung ist unter 25 - von den Taten des bewunderten Heroen, der im 13. Jahrhundert die mongolischen Stämme einte, um die Hälfte der bis dahin bekannten Welt zu erobern. Während der Parteisprecher Chimeddorg diese Woche unterstrich, daß der Große Khan rehabilitiert sei, versäumte er nicht hinzuzufügen, daß Dschingis Khan „viele Menschenleben auf dem Gewissen hat“.

Zorig erklärte indes ohne große Umschweife: „Dschingis Khan ist für uns eine herausragende Persönlichkeit.“ Dem dürften die meisten seiner Landsleute zustimmen, der Erfolg des Songs Dschingis Khan ist der beste Beweis. „Rock-Musik ist das Medium der Bewegung, und sie ist derzeit in der Mongolei außerordentlich beliebt“, erklärte ein Diplomat, der vor kurzem die Mongolei besuchte.

Jeder unter 25 scheint gegenwärtig elektrische Gitarre zu spielen. Das ist nicht anders als in den Sechzigern in den USA oder den Achtzigern in Moskau, von dem sich die Mongolen noch immer inspirieren lassen. Rockmusik ist der friedlichste und zugleich kräftigste Ausdruck von Unzufriedenheit und Wunsch nach politischem Wandel.