RUSSISCHE ZEITREISE

■ Das „Moskauer Jüdische Dramatische Theater Shalom“

Eine der Autobushaltestellen auf der breiten Warschauer Chaussee in Moskau wurde diesen Sommer auf beiden Straßenseiten umbenannt. Sie heißt jetzt „Theater Shalom“. Nach 40 Jahren, in denen es in der Sowjetunion offiziell kein jüdisches Kulturleben gab, bedeutet das auch offizielle Anerkennung für das junge Ensemble des „Moskauer Jüdischen Dramatischen Theaters Shalom“. 1948 hatte Stalin den brillanten Schauspieler Michoels ermorden lassen. Dieser war Leiter des Moskauer jüdischen Theaters und der dazugehörigen Schule, die - wie alle anderen jüdischen Theater im ganzen Land - nach seinem Tod geschlossen wurde. Jude in der Sowjetunion zu sein, konnte noch bis vor kurzem für die berufliche Laufbahn gefährlich werden. Heute sind die Eintrittskarten für die Shalom-Vorstellungen in Moskau stets ausverkauft und kosten auf dem schwarzen Markt bis zu 50 Rubel.

Der Zug ins Glück heißt das Stück, das heute und morgen auch in Berlin zu sehen ist. Hausautor Arkadij Hait meint den Titel selbstverständlich ironisch. Ein amerikanischer Kritiker nannte diese musikalische Komödie eine „fröhliche Geschichte des Antisemitismus in Rußland“. Der Zug ins Glück ist eine Zeitreise durch das jüdische Leben in der Sowjetunion vom weißrussischen Stedl zu Beginn des Jahrhunderts bis ins moderne Moskau. Von der Alltagskomik über geschliffenes politisches Kabarett bis hin zu bitterer, schwarzer Ironie sind alle Facetten des jüdischen Humors vertreten. Da erzählt die Schauspielerin Marina Golub in der Rolle einer „Dame von Welt“ ausführlich und konkret von ihren Erfahrungen mit jüdischen Männern und kommt zu dem Schluß: „Sie sind wie ein Koffer ohne Henkel: schwer zu ertragen und zu schade zum wegschmeißen.“ Zur zweiten Kategorie gehört die Szene aus dem Rußland der zwanziger Jahre, als in der Periode der „Neuen Ökonomischen Politik“, genau wie heute, die Zusammenarbeit mit Kapitalisten hoch im Kurs stand. Da müht sich ein Amerikaner im Gespräch mit munteren Komsomolzen redlich, die absurde Logik eines Fünfjahrplanes zu verstehen. Und schließlich steht in der Mitte des Stückes der „Brief nach dem Pogrom“. „Weine nicht, denn heute ist doch ein Feiertag“, schreibt ein Jude an seine Mutter, und sinngemäß fährt er fort: „Es war überhaupt nicht schlimm. Wie gut, daß wir nichts besitzen. Den Nachbarn wollten sie erschlagen, aber er war vor zwei Tagen schon von selbst gestorben. Zu komisch, was die für Gesichter machten! Auch den, den sie vom Dach gestürzt haben, haben sie nicht totgekriegt. Er hat sich zwar alle Glieder gebrochen, aber sonst geht es ihm glänzend. Auch die Schwester ist gesund, nur vergewaltigt ist sie worden. Also weine nicht: nur zwei Tage hat es gedauert - alles in allem kein Pogrom, nur ein Pogrömchen!“ Wie die Ereignisse von Baku gezeigt haben, ist der Brief noch nicht Geschichte geworden.

Barbara Kerneck

Das „Moskauer Jüdische Dramatische Theater Shalom“ gastiert mit Der Zug ins Glück am 27. und 28. Januar in der Jüdischen Gemeinde, Fasanenstraße.