Stürmische Qualitäten

■ Eine kleine Ehrenrettung der Großwetterlage

Der erste große Sturm dieses Frühjahrs hat Europa und seine Medien erreicht - und wird kaum anders wahrgenommen denn als Auslöser kleiner und großer Katastrophen, als Verursacher von Toten, als Unterbrecher von Telefonleitungen und Stromkabeln und Anlaß für Versicherungen, über neuerlichen Millionenschaden zu lamentieren. So richtig all‘ dies ist diese Klagen allein können der gerade herrschenden Großwetterlage nicht gerecht werden.

Denn - hat der Orkan nicht innerhalb von zwei Tagen die triste Nebelsuppe weggefegt, die sich den ganzen Nicht -Winter über auf unsere Gemüter gelegt hat? Er hat den Smog fortgeblasen, der monatelang in Hals und Lungen gekratzt hat, er meldet auch bei denen den Frühling an, die bislang nicht an ihn denken mochten, setzt ihn auf die Jahresordnung derjenigen, die ansonsten nur Tagesordnungen im Sinn haben.

Und für klare Verhältnisse sorgt er nicht nur physisch oder gar physikalisch. Mit seinen Millionen von Quadratkilometern Verbreitungsgebiet entzieht er sich der Zerlegung in territoriale oder geografische Einheiten und der Rubrizierung in Kategorien von Festland und Hochsee. Ein Orkan ermöglicht eine Ahnung des Einheitlichen, weil er für die Dauer seiner Existenz das Kleinklima zurückdrängt. Wer's nicht blicken will, weil's ihm stinkt, kann es auch ausprobieren. Ganz einfach: Die Nase ein paar Minuten in den Wind halten.

Schließlich hat er noch seinen ganz eigenen Reiz. Die haushohen Wellen, die sich in den letzten beiden Flutnächten etwa an der französischen Atlantikküste brachen, sind auch über den Wortsinn hinaus - mitreißend. Das mag, wer will, als Romantik geißeln, doch an dem geht der Frühling dann vorbei. So wohnt dem Sturm noch eine besondere Dialektik inne - er sorgt nicht nur für Aufregung, sondern auch für Ruhe und Gewißheit. Denn letztendlich ist es egal, wer den Sturm wie bewertet. Schlicht und ergreifend: Die nächste Bö kommt bestimmt.

aquadiba