Chinas Frühlingsfest im Jahr des Pferdes

Das chinesische Frühlingsfest fordert Tributzahlungen im feudalistischen Stil / Aber auch Disziplin, Selbstlosigkeit und revolutionärer Optimismus sollen im anbrechenden Jahr des Pferdes gezeigt werden / Enthusiasmus des Volkes begrenzt  ■  Aus Peking Boris Gregor

Vor ihnen dampft der Jasmintee, manche sind bis zur Nase in ihre dicken Mäntel versunken. Die Partei hat sie geladen, und es ist oft kalt in den Versammlungsräumen. Südlich des Yangzi, weil dort per Dekret festgelegt wurde, daß die Temperatur nicht so tief sinkt, um einen Ofen zu brauchen, im Norden, weil irgend etwas mit dem Kohlenachschub nicht klappt.

Es naht das Frühlingsfest am 27.Januar, der Beginn des neuen Jahres nach dem Mondkalender. Für die Chinesen ist dies der wichtigste Tag im Jahr, vergleichbar mit Weihnachten und Silvester - Anlaß für die örtlichen Parteikomitees, die Alten und Waisen, die Armen und die Witwen der Revolutionäre zu einem Mahl zu bitten und ihnen ein gutes neues Jahr zu wünschen, verbunden mit Lobpreisungen auf die weise Führung der Partei mit dem „Nukleus“ Jiang Zemin als Generalsekretär.

Das Fest ist auch Gelegenheit für die Genossen, ihre Nähe zur Basis zu demonstrieren. Sie begeben sich hinaus auf die Reisfelder und erkundigen sich nach dem Wohlergehen der Bauern, machen sich selbstgefällig in fein aufgeräumten, engen Wohnzimmern breit, und manchem alten Landmann rollen die Tränen der Rührung über das zerfurchte Gesicht, wenn der „Ganbu“, der Führer aus der Provinzhauptstadt, auch ihn mit einer Visite beehrt und die hastig aus der Schachtel gezogenen Zigaretten ablehnt. Das Team des staatlichen Fernsehens ist wie zufällig im Gefolge.

Die vorfestliche Liebe zum Volk nimmt zuweilen allerdings recht materielle Züge an, wie jüngst die 'Shaanxi -Tageszeitung‘ geißelte. Höhere Behörden, klagten die auf Reinheit der KP-Reihen bedachten Journalisten, fordern nach dem Brauch der Warlords regelrecht Tribute von den untergebenen Einheiten, damit sich die Verbindung auch in den kommenden zwölf Monaten gedeihlich entwickle.

Wer sich an diese für Kader einträgliche Sitte des „Tributzahlens“ zum Frühlingsfest nicht halte, müsse mit „Strafexpeditionen“ rechnen, und wenn die ausbleiben, hat er zumindest die nächsten zwölf Monate mit sehr vergrätzten Genossen zu tun, die Akten verstauben lassen oder Rohstoffe an großzügigere Partner weiterleiten.

Der Pekinger 'Volkszeitung‘ ist dies wohl entgangen, als sie zum Jahreswechsel frohlockte, die erfolgreiche Politik der KP habe den „Mist des Feudalismus und des Kapitalismus“ beseitigt. Im neuen Jahr gelte es, die fünf Prinzipien von Deng Xiaoping zu befolgen. Danach sollen die Bürger Disziplin, Selbstlosigkeit und „revolutionären Optimismus“ zeigen, den „Geist der Revolution“ bewahren und sogar den „Tod verachten“ - was am 4.Juni Studenten am Tiananmen-Platz bereits wörtlich nahmen.

„Die Befriedigung des Geistes und die Fröhlichkeit, heißt es, ist ein unentbehrlicher Bestandteil der sozialen Stabilität.“ Mit der ist es im nun beginnenden Jahr des Pferdes aber nicht so weit her. Der Staat war im vorigen Jahr so knapp bei Kasse, daß er vielen Bauern nur Schuldscheine für ihre Ernte in die schwieligen Hände drücken konnte, was die Liebe zur Partei nicht unbedingt förderte. Die Arbeiter mußten Prämienkürzungen hinnehmen, weil zahlreiche Fabriken die Produktion aus Geldmangel und wegen mangelnder Nachfrage eingestellt hatten.

So schnurren die hudelnden Neujahrskommentare der Partei an vielen Bürgern so schnell vorbei wie die Weihnachtsansprache Kanzler Kohls an den Bundesbürgern. Nur die Intellektuellen in Peking befassen sich in diesen Tagen mit Politik, genauer mit Gerüchten, die mehr oder weniger Wunschdenken sind. Ministerpräsident Li Peng soll danach bald aus der Regierung fliegen, auf den Sicherheitschef Qiao Shi ist, vergeblich, ein Attentat verübt worden.

Der sozialistische Koloß China wälzt sich zum Frühlingsfest auf die Seite. Schon seit Wochen kämpft er mit dem Schlaf. Fabriken nehmen Aufträge nicht mehr an, in den Büros bleiben die Aktenschränke verschlossen, Rechercheanträge ausländischer Journalisten werden abschlägig entschieden: „Wir bereiten uns auf das Frühlingsfest vor.“

Für die Chinesen ist es endlich die Gelegenheit, Verwandte und Freunde zu besuchen. Schon seit Wochen sind Busse, Züge und Schiffe ausgebucht, zieht ein breiter Strom von Reisenden quer durch das Land. Für Millionen Bauern ist es die einzige Zeit im Jahr, Urlaub zu nehmen.

Angekommen im heimischen Hutong rollen die Bewohner der Nordprovinzen „Jiauzi“, mit Fleisch und Gemüse gefüllte Teigtaschen; dann kommen Hühnchen, Schweinefleisch oder Peking-Ente auf den Tisch. In gefrorener Form liegt das Geflügel seit Tagen auf Straßen und Bürgersteigen, weil in den Geschäften die Regale bereits gefüllt sind oder der Genosse Transportarbeiter bereits auf dem Weg zu seiner Liebsten in Kunming ist. Der Anblick ist für Kargheit gewohnte russische Touristen in den Straßen Pekings Anlaß, mit Schicksal und Perestroika zu hadern.

Die Programmacher des staatlichen Fernsehens, das mit seinen trübe präsentierten Programmen sonst so langweilig ist wie das Testbild der ARD, schwingen sich zu Höhenflügen auf: Sie lassen in geballter Form reizende, frisch ondulierte Sängerinnen von der Liebe zwitschern und Komiker über Korruption und Kader witzeln - all dies, versteht sich, auf der Basis der fünf Grundprinzipien und unangefochten vom bösen bürgerlichen Liberalismus.

Volksbelustigung während der vier freien Tage auch in den Parks, wo Buden und Bühnen aufgebaut sind. Artisten balancieren auf rohen Eiern oder auf Stelzen, Künstler der Peking-Oper schwingen sich mit ihrem Gesang durch Stimmlagen, die jenseits von europäischen Tonleitern liegen und Fledermäuse aus der Hängepartie in den aufrechten Stand bringen.

In Garküchen brutzeln Eierkuchen, und so manch junger Chinese erwirbt an einem Stand eine flotte Jacke, die, eigentlich für den Export gedacht, auf krummen Wegen in den heimischen Handel gelangt ist. Das Geld dafür hat er von den Eltern in einem roten Päckchen bekommen - es ist Sitte, daß zum Frühlingsfest die ältere Generation so die junge mit Volkswährung versorgt.

Andere investieren in Chinakracher und Raketen, die schon seit Tagen in den sternenklaren kalten Pekinger Himmel zischen. Wie, Genosse, die explodierenden Böller erinnern Sie an etwas? An das Gewehrfeuer des vierten und fünften Juni?

Tatsächlich, Genosse: Ein fatales Jahr, das Jahr der Schlange. Im Jahr des Pferdes aber werden wir nun endlich dem Fortschritt entgegenreiten.